Trotz Reform keine Änderung der nationalen Rechtslage zur Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen
Nicht erst seit der Coronapandemie erfreuen sich Lebensmittel, die den Konsumenten aufgrund ihrer Inhaltsstoffe gesundheitliche Vorteile versprechen, besonderer Beliebtheit. Eine bewusste und gesunde Ernährung gehört bereits seit Jahren bei vielen Menschen zur Tagesordnung. Wenn die reguläre Ernährung alleine nicht für ausreichend Vitamine sorgt oder etwa aufgrund eines straffen Fitnessprogramms ein erhöhter Bedarf besteht, können die Verbraucher durch entsprechende Produkte nachbessern. Zahlreiche solcher mit Vitaminen oder Mineralstoffen angereicherte Lebensmittel finden sich in den Produktportfolios der Lebensmittelhändler.
Die Notwendigkeit einer einheitlichen Regulierung dieser Lebensmittel liegt auf der Hand. Bereits im Jahr 2007 ist daher die Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 (im nachfolgenden „Anreicherungs-VO“) in Kraft getreten. Allerdings gibt diese bis heute bei der entscheidenden Frage, nämlich wie viel an Vitaminen und Mineralstoffen zugesetzt werden dürfen, immer noch keine Antwort. Dies führt dazu, dass nach wie vor die teils sehr unterschiedlichen nationalen Regelungen zur Anwendung kommen. Insbesondere die deutschen Vorschriften lassen sich mit dem Grundgedanken der Anreicherungs-VO nicht vereinbaren. Zum Leidwesen insbesondere der Lebensmittelunternehmen hat es der deutschen Gesetzgeber auch mit der jüngsten Reform des LFGB verpasst, Abhilfe zu schaffen.
Anwendbarkeit der Anreicherungs-VO
Die Anreicherungs-VO regelt, dass Lebensmitteln nur die im Anhang 1 der aufgelisteten Vitamine und Mineralstoffe zugesetzt werden dürfen (Art. 3 Abs. 1 Anreicherungs-VO). Weitere Bedingungen des Zusatzes, wie etwa dass ein solcher grundsätzlich nicht für alkoholische Getränke erfolgen soll, werden sodann in den folgenden Artikeln ausgeführt. Art. 6 Anreichungs-VO sieht zudem das Einhalten der Höchst- als auch Mindestgehalte vor. Hinsichtlich Letzterem verweist die Anreicherungs-VO in Art. 6 Abs. 6 auf die signifikanten Mengen des Anhangs der Richtlinie 90/496/EWG, die zwischenzeitlich durch die Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformations-VO) ersetzt wurde. In dieser sind die signifikanten Mengen – und somit die Mindestmengen – in Anh. XIII Teil A Ziff. 2 der Lebensmittelinformations-VO geregelt. Deutlich problematischer ist die Bestimmung der Höchstmengen. Bislang wurden Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe nicht festgesetzt, obwohl dies nach Art. 6 Abs. 1 Anreicherungs-VO doch bestimmt, dass eben solche für die europäischen Länder festgesetzt werden sollen(!). Dies führt dazu, dass weiterhin die Übergangsregelung des Art. 17 Abs. 3 Anreicherungs-VO und somit entsprechende nationale Regelungen, die Höchstwerte oder andere Bedingungen des Zusatzes festlegen, Anwendung finden.
Da immer noch nicht absehbar ist, wann seitens der EU die dringend erforderlichen Höchstwerte festgelegt werden, haben inzwischen einige Länder – wie beispielsweise Dänemark die Initiative ergriffen und eigene Höchstwerte festgesetzt. Auch in Deutschland steht dies immer wieder zur Debatte. Erst im März dieses Jahres hat das BfR die Höchstmengenvorschläge für die Anreicherung von Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen aktualisiert. Diese sind auf der Website des BfR hier abrufbar (zuletzt abgerufen am 13.12.2021).
Nationales deutsches Recht
In Deutschland war der Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen bis vor Kurzem in den § 6 Abs. 1 i.V.m § 2 Abs. 3 S. 2 LFGB geregelt. Demnach galt ein Pauschalverbot mit der Möglichkeit eines Erlaubnisvorbehalts im Wege einer Ausnahmegenehmigung oder einer Allgemeinverfügung. Diese Regelungen stehen offenkundig in einem erheblichen Widerspruch zu den Regelungen der Anreicherungs-VO, die den Zusatz grundsätzlich erlauben. Die genannte Vorschrift ist daher mit dem Unionsrecht schlicht nicht zu vereinbaren.
Bereits vor einigen Jahren hat der EuGH erhebliche Bedenken an der Vereinbarkeit des deutschen Pauschalverbots von Aminosäuren mit dem Unionsrecht geäußert (Urteil des Gerichtshofs vom 19. Januar 2017, C 282/15), sodass die entsprechenden Paragrafen des LFGB reformiert wurden.
Gerade vor diesem Hintergrund verwundert es aber, dass nunmehr aufgrund der Übergangsregelung des § 1a Abs. 1 des Gesetzes über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht (LMFR-ÜG) die aufgehobenen und unionsrechtswidrigen Regelungen weiterhin anwendbar bleiben sollen, bis es entweder EU-weite oder nationalen Vorgaben für den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen – wie eben die dringend erforderlichen Höchstmengen – gibt. Lediglich die frühere Gleichstellung von Aminosäuren und Lebensmittelzusatzstoffen in § 2 Abs. 3 Nr. 3 LFGBaF wird von dieser Übergangsregelung nicht erfasst, wodurch der deutsche Gesetzgeber offenkundig den Feststellungen des oben erwähnten EuGH-Urteils entsprechen möchte.
Trotz einer Reform des LFGB und der Aufhebung der relevanten Vorschriften ändert sich somit zunächst nichts an der derzeitigen unionsrechtswidrigen nationalen Rechtslage. Die Reform hätte genutzt werden müssen, um diesen Bereich umfassend neu zu regeln.
Fazit
Auch wenn durch die jüngste Reform des LFGB zunächst der Eindruck erweckt wurde, dass der seit Jahren andauernde unionsrechtswidrige Zustand rund um die Anreicherung von Lebensmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen endlich behoben wird, ist nunmehr mit Ernüchterung festzustellen, dass dieser Zustand wohl noch eine Weile Bestand haben wird. Dabei ist es allerhöchste Zeit, sichere und zuverlässige Regelungen für den stetig wachsenden Markt an angereicherten Lebensmitteln zu erlassen. Zwischen der Rechtslage und dem Umgang in der Praxis besteht eine beachtliche Diskrepanz, die weder im Interesse der zuständigen Behörden, der Lebensmittelunternehmer und erst recht nicht der Verbraucher steht. Entsprechende feste Höchstwerte sollten von der EU festgesetzt werden, um so unionsweite Standards festzulegen und dadurch außerdem faktisch zur Umsetzung der Warenverkehrsfreiheit beizutragen.
Autoren:
Dr. Thomas C. Körber, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Sportrecht
Fiona Trabold, Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz