10.10.2022

OVG Hamburg bestätigt Rechtmäßigkeit der Bereichsausnahme nach dem Hamburger Modell

Nachdem bereits das Verwaltungsgericht die Anwendung der Bereichsausnahme Rettungsdienst gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 4 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Hamburg als rechtmäßig angesehen hatte (Urt. v. 26.05.2021 – 14 K 3698/20), hat nun das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg mit Urteil vom 20.09.2022 (3 Bf 198/21) die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Nach Ansicht des OVG steht die hamburgische Regelung des § 14 Abs. 1 Hamburgisches Rettungsdienstgesetz (HmbRDG) zur Umsetzung der Bereichsausnahme sowohl mit europarechtlichen als auch verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang, gleiches gilt für die Anwendung der Norm im konkreten Fall.

Sachverhalt

Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 HmbRDG kann die zuständige Behörde Leistungserbringer mit Aufgaben des öffentlichen Rettungsdienstes beauftragen. Nach § 14 Abs. 1 S. 2 HmbRDG kann sie hierbei den Kreis auf die Leistungserbringer beschränken, die gemeinnützig im Sinne von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB sind und deren Mitwirkung im hamburgischen Katastrophenschutz die zuständige Behörde zugestimmt hat.

Von dieser gesetzlichen Möglichkeit zur Beschränkung des Kreises der Leistungserbringer auf gemeinnützige, in den lokalen Katastrophenschutz eingebundene Organisationen hatte die Feuerwehr als zuständige Behörde vorliegend Gebrauch gemacht und dementsprechend auf die Durchführung eines Kartellvergabeverfahrens verzichtet. Es wurde daher ein verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren durchgeführt.

Auf Ebene der Eignung mussten die Bieter nachweisen, dass ihnen die Gewinnerzielungsabsicht fehlt und sie die Anforderungen an die Gemeinnützigkeit erfüllen. Hierzu war die Vorlage eines Bescheides nach § 52 Abgabenordnung (AO) des zuständigen Finanzamtes sowie der Satzung bzw. des Gesellschaftsvertrags des Bieters gefordert. Für den Fall, dass ein Bescheid nach § 52 AO nicht vorgelegt werden könne, wurde ein anderer geeigneter Nachweis gefordert.

Darüber hinaus mussten sämtliche Bieter auch nachweisen, dass ihrer Mitwirkung im hamburgischen Katastrophenschutz durch die zuständige Behörde zugestimmt wurde. Im Ergebnis konnten sich somit nur gemeinnützige Organisationen, die im hamburgischen Katastrophenschutz bereits tätig sind, um den Auftrag für die Durchführung der öffentlichen Notfallrettung bewerben.

Da die Klägerin zwar den Nachweis über die Gemeinnützigkeit, jedoch nicht den Nachweis über die Mitwirkung im lokalen Katastrophenschutz mit ihrem Angebot vorlegen konnte, wurde sie vom Verfahren ausgeschlossen. Dass die Klägerin nach Angebotsabgabe einen Antrag auf vorläufige Zulassung zum Katastrophenschutz stellte, änderte nichts an dem Ausschluss vom Verfahren.

Die Klägerin reichte gegen ihren Ausschluss vom Verfahren – nach erfolgloser Anrufung der Vergabekammer und des OLG Hamburg – Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg ein. Auch das Verwaltungsgericht wies die Klage zurück. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung wurde nun durch das OVG Hamburg als unbegründet zurückgewiesen.

Entscheidung

Das OVG Hamburg unterzieht in seinem Urteil sowohl die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB als auch die landesrechtliche Umsetzungsnorm des § 14 Abs. 1 S. 2 HmbRDG einer umfassenden europa- wie verfassungsrechtlichen Prüfung. Der Entscheidung können insbesondere die folgenden, auch für andere Bundesländer relevanten Erwägungen entnommen werden:

  1. Die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist rechtmäßig und wirksam.
  2. Die Forderung eines Bescheids nach § 52 AO in Verbindung mit dem Gesellschaftsvertrag und der Satzung des Bieters stellt einen geeigneten Nachweis über die Gemeinnützigkeit im Sinne von § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB dar. Lässt der Auftraggeber darüber hinaus auch andere geeignete Nachweise als den Bescheid nach § 52 AO zu, besteht kein Raum für eine unzulässige Diskriminierung von Bietern aus anderen Mitgliedstaaten der EU, die zwangsläufig über keinen Bescheid nach § 52 AO verfügen.
  3. Eine landesrechtliche Regelung, die den Wettbewerb bei Nutzung der Bereichsausnahme noch weiter beschränkt, indem sie den Kreis der Bieter auf diejenigen gemeinnützigen Organisationen beschränkt, die im lokalen Katastrophenschutz mitwirken, ist rechtmäßig.

Eine solche Regelung verstößt weder gegen die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie das Ziel verfolgt, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung in Großschadenslagen und Katastrophen durch eine Verzahnung des Regelrettungsdienstes und des Katastrophenschutzes auf dem erforderlichen Niveau zu gewährleisten.

  1. Durch die landesrechtliche Forderung nach einer Mitwirkung im lokalen Katastrophenschutz wird keine unzulässige Diskriminierung ausländischer Bewerber durch Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten bewirkt, auch wenn ausländische Bieter diese Anforderung regelmäßig nicht erfüllen können. Zum einen finden die Grundfreiheiten und damit auch das sich daraus ableitende Verbot zur Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dann keine Anwendung, wenn an dem konkreten Auftrag kein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse Ein solches sei vorliegend trotz des hohen Auftragswerts nicht gegeben, weil es sich bei Rettungsdienstleistungen um Gesundheitsdienstleistungen handele, die für ausländische Bieter ohnehin wirtschaftlich interessant seien und darüber hinaus keine Anhaltspunkte für das tatsächliche Bestehen eines grenzüberschreienden Interesses erkennbar seien. Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund der Verpflichtung zur Mitwirkung im Katastrophenschutz, wodurch der Auftrag für ausländische Unternehmen wirtschaftlich uninteressant werde.

Aber selbst wenn man von einem grenzüberschreitenden Interesse und in der Folge auch von einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten ausgehen sollte, dann ist dieser gerechtfertigt und damit nicht rechtswidrig. Denn das Unionsrecht erlaubt es den Mitgliedstaaten in Bezug auf den Schutz der Gesundheit und des Lebens der Bevölkerung selbst zu entscheiden, auf welchem Niveau und mit welchen Mitteln sie diesen Schutz gewährleisten wollen. In der Folge ist ein Eingriff in die Grundfreiheiten dann gerechtfertigt, wenn sich das vom Mitgliedstaat gewählte Mittel bzw. hier die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 HmbRDG als geeignetes und erforderliches Mittel zur Erreichung des angestrebten Schutzniveaus herausstellt.

  1. Wird dem Aufgabenträger durch das Landesrecht ein Ermessen dahingehend eingeräumt, dass er von der Möglichkeit zur Beschränkung des Wettbewerbs Gebrauch machen kann, dann unterliegt diese Ermessensentscheidung der gerichtlichen Kontrolle, wobei dem Träger eine gewisse Einschätzungsprärogative verbleibt. Im Rahmen dieser Entscheidung muss der Träger langfristig jedoch auch berücksichtigen, ob bzw. wann das durch die Verzahnung von Katastrophenschutz und Regelrettungsdienst angestrebte Schutzniveau erreicht ist, sodass ab diesem Zeitpunkt eine Beschränkung des Wettbewerbs nicht mehr gerechtfertigt wäre.
  2. Führt der Auftraggeber in dem beschränkten Bieterkreis ein nach Preisgesichtspunkten orientierten Wettbewerb durch, ist in hinreichender Weise sichergestellt, dass nur eine marktgerechte Vergütung zu zahlen ist und in der Folge keine unzulässige Beihilfe

Fazit für die Praxis

Die Nutzung der Bereichsausnahme nach dem Hamburger Modell ist somit obergerichtlich als rechtmäßig bestätigt worden. Eine Beschränkung des Bieterkreises in einem rettungsdienstlichen Auswahlverfahren auf gemeinnützige Unternehmen, die zudem auch im Katastrophenschutz mitwirken, dürfte somit grundsätzlich zulässig sein.

Das Hamburger Modell könnte daher als Vorbild für weitere landesrechtliche Regelungen dienen. Durch das insoweit vorgesehene Wahlrecht zwischen der Nutzung der Bereichsausnahme und einem europaweiten Vergabeverfahren könnten zudem auch die kommunalen Träger, die keine Begrenzung auf gemeinnützige Organisationen möchten, weiterhin europaweite Vergabeverfahren durchführen.

Das OVG hat die Revision zwar nicht zugelassen, es ist aber davon auszugehen, dass der unterlegene Bieter versuchen wird, die Revision mittels einer Nichtzulassungsbeschwerde nachträglich noch zu erreichen. Zudem bleibt abzuwarten, ob der unterlegene Bieter zusätzlich oder anschließend noch das Bundesverfassungsgericht anrufen wird.

Autoren: Daniel Bens, Rechtsanwalt, Partner und Martina Hadasch, Rechtsanwältin, Counsel

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