23.01.2024

Neue Bewegung in Online-Glücksspiel-Masseverfahren: BGH setzt Revisionsverfahren aus

Unternehmen und Gerichte sehen sich in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend mit sogenannten „Masseverfahren“ konfrontiert. Neben dem auch über die juristische Fachwelt hinaus viel beachteten Schadenersatzforderungen von Verbrauchern im sogenannten „Diesel Abgasskandal“, im Rahmen von Flugverspätungen oder „Datenlecks“ ist auch die Rückforderung von Verlusten bei vermeintlich „illegalen“ Online-Glücksspielen ein wesentliches Betätigungsfeld selbst ernannter „Verbraucherschutzanwälte“ geworden.

Ein nun ergangener Beschluss des BGH könnte große Auswirkungen auf den Fortgang letztgenannter Verfahren haben.

Hintergrund

In besagten Verfahren fordern die Kläger, bei denen es sich um (ehemalige) Glücksspieler handelt, bei Online-Glücksspielen verlorene Einsätze von Spieleanbietern zurück, die zum Zeitpunkt des Spiels über keine deutsche Glücksspielkonzession verfügten. Bis zum Juli 2021 konnte in Deutschland auf Grund fehlender Regelungen im bis dahin geltenden Glücksspiel-Staatsvertrag für Online-Glücksspiele (wie etwa virtuelle Automaten) in Deutschland keine Konzession beantragt werden. Es bestand ein sogenanntes „Online-Totalverbot“ für Glücksspiele. Viele Anbieter besaßen jedoch eine „Lizenz“ für das Angebot von Online-Glücksspiel in anderen europäischen Mitgliedstaaten mit liberaleren Glücksspielgesetzen, wie etwa Malta. Die wesentliche sich den angerufenen Gerichten stellende Frage ist dabei die nach der Vereinbarkeit des in § 4 GlüStV (2012) festgehaltenen deutschen „Onlineverbots“ mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Konkret: Kann es einem unter Lizenz/Konzession eines anderen EU-Mitgliedstaates tätigen Glücksspielanbieters durch nationale Regelungen untersagt werden, in Deutschland selbige Online Glücksspiele anzubieten?

Über die ab 2021 laufende „Prozesswelle“ und insbesondere die europarechtliche Dimension dieser Verfahren hatten wir bereits berichtet.

Gleichwohl hielten es deutsche Gerichte bislang nicht für erforderlich, dem EuGH die streitentscheidenden Fragen zur Entscheidung vorzulegen und ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV anzustrengen. Ein solches Vorabentscheidungsersuchen erfolgte vielmehr erst im Juli letzten Jahres durch das maltesische Gericht Prim’Awla tal-Qorti Ċivili. Dieses hat den EuGH konkret u.a. zur Vereinbarkeit der deutschen Regelungen im GlüStV mit der EU-rechtlichen Dienstleistungsfreiheit angerufen (Rechtssache C-440/23).

Aussetzung von Verfahren

Da die von dem maltesischen Gericht vorgelegten Fragen auch für die vor deutschen Gerichten zu entscheidenden gleichgelagerten Fälle streitentscheidend sind, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, diese Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO (analog) bis zur Entscheidung durch den EuGH auszusetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung steht indes im Ermessen des entscheidenden Gerichts. Bislang sind die deutschen Instanzgerichte allerdings sehr zurückhaltend mit dieser sich ihnen grundsätzlich bietenden Möglichkeit umgegangen. Öffentlich bekannt ist lediglich ein Beschluss des LG Magdeburg, welches eine derartige Aussetzung des Verfahrens zumindest in Betracht gezogen hat (LG Magdeburg (10. Zivilkammer), Beschluss vom 02.10.2023 – 10 O 597/23).

 

Entscheidung des BGH

Deutlicher hat sich nun der BGH positioniert: Bei diesem ist derzeit unter dem Az. I ZR 53/23 eine Revision gegen eine Entscheidung des OLG Hamm anhängig. Mit Beschluss vom 10. Januar 2024 hat der BGH das Revisionsverfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH im anhängigen Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache C-440/23 ausgesetzt. (Pressemitteilung vom 17. Januar 2024, abrufbar als Pressemeldung beim BGH.

 

Unsere Einschätzung

Für derzeitig anhängige und auch zukünftige gleichgelagerte Verfahren ist die Bedeutung dieses Beschlusses des BGH nach unserem Dafürhalten nicht zu unterschätzen. Zwar obliegt es grundsätzlich nach wie vor dem entscheidenden (Instanz)Gericht, ob es ein Verfahren nach § 148 Abs. 1 ZPO aussetzt; da vielerorts eine klärende höchstgerichtliche Entscheidung durch den BGH erwartet wird und ebenjener das anhängige Revisionsverfahren mit Verweis auf das europäische Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt hat, dürften nun auch viele Instanzgerichte geneigt sein, denselben Weg zu gehen. Für klagende Spieler und beklagte Glücksspielunternehmen würde dies zwar eine mitunter erhebliche Verzögerung der Verfahren bedeuten, wäre aber insoweit zu begrüßen, als dass die deutschen Gerichte künftig – insbesondere im Hinblick auf die europarechtlichen Fragestellungen – abgesichert durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entscheiden würden.

 

Thomas Hertl                                                                                       Dr. Florian Eckert