Der 5. Strafsenat des BGH hatte kürzlich Gelegenheit, sich mit der Abgrenzung selbstständiger Transportfahrer zu unselbstständig angestellten Transportfahrern zu äußern. Dabei bestätigt das höchste deutsche Strafgericht, dass die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbstständigen grundsätzlich auch im Frachtgeschäft gelten. Eine Strafbarkeit wegen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) war im zugrundeliegenden Fall nicht gegeben.

Sachverhalt

Die Angeklagte betrieb als Einzelunternehmerin ein Transportgeschäft. Sie war für die Zustellung von Paketen und Katalogen eines größeren Logistikkonzerns in einem bestimmten Zustellgebiet verantwortlich. Um ihren Verpflichtungen nachzukommen, unterbeauftragte sie durch Rahmenverträge mit dreimonatiger Kündigungsfrist sechs selbstständig tätige Kurierfahrer. Diese mussten die jeweiligen Sendungen stets am Tag der Abholung vom Lager der Angeklagten zustellen. Die selbstständigen Kurierfahrer nutzten eigene Fahrzeuge. Gestellt wurden eine Kleidung mit Logo des Logistikkonzerns sowie ein Handscanner, der mit dem Computersystem in der Lagerhalle der Angeklagten verbunden war. Die Angeklagte unterstützte ihre Kurierfahrer bei der Erstellung der Rechnungen. Die Kurierfahrer verfügten nicht über eigene Geschäftsräume, sondern konnten die erforderlichen administrativen Tätigkeiten zu Hause erledigen.

Laut Staatsanwaltschaft hatte sich die Angeklagte durch 135 Handlungen der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a Abs. 1 strafbar gemacht hat, weil die Kurierfahrer tatsächlich Arbeitnehmer seien. Den Sozialversicherungsträgern sei hierdurch insgesamt ein Schaden in Höhe von rund 175.000 EUR entstanden. Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder folgte dem nicht und sprach die Angeklagte frei. Hiergegen richtete sich die Revision der Standesanwaltschaft.

Entscheidung des Gerichts

Der 5. Strafsenat des BGH verwarf die Revision der Staatsanwaltschaft.

Eine Strafbarkeit war nur möglich, wenn einer der sechs selbstständigen Kurierfahrer tatsächlich Arbeitnehmer der Angeklagten war. Das verneinte das höchste deutsche Strafgericht unter Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Abgrenzung von unselbstständiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit.

Der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigten in § 7 Abs. 1 SGV IV ist im Wesentlichen identisch mit der arbeitsrechtlichen Definition des Arbeitnehmers, wie sie seit April 2017 in § 611a BGB normiert ist. Maßgeblich ist für die Abgrenzung ist, ob der Betroffene in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit zum Auftraggeber steht. Das richtet sich danach, ob der Betroffene in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und einem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht unterworfen ist, das Zeit, Dauer, Ort und Ausführung der Dienstleistung umfasst. Selbstständig ist hingegen, wer im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit frei bestimmen kann.

Ausgangspunkt für die Feststellung, ob eine Person Arbeitnehmer oder Selbstständiger ist, ist stets das Vertragsverhältnis des Beteiligten. Entscheidend aber ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages, die bei Abweichungen vom Vertragsinhalt vorrangig ist. Auf Grundlage aller Umstände wird von den Gerichten eine wertende Gesamtbetrachtung vorgenommen.

Der Gesetzgeber sieht dabei den Frachtführer grundsätzlich als selbstständigen Gewerbetreibenden, der – wie der Strafsenat zu Recht feststellt – schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliegt. Für den durchzuführenden Test, ob ein Kurierfahrer ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist, kommt es demzufolge darauf an, ob zwischen den Parteien Vereinbarungen getroffen und praktiziert wurden, die die Tätigkeit engeren Bindungen unterwarfen als sie den gesetzlichen Leitbild der § 407 ff. HGB entsprechen.

Im Rahmen dieser Gesamtwürdig aller Umstände waren aus Sicht des BGH die folgenden Umstände Ausschlag gebend mit dafür, dass es sich bei allen sechs selbstständigen Kurierfahrern nicht um Arbeitnehmer handelte:

Den Kurierfahrern waren keine festen Arbeitszeiten vorgeschrieben. Die kurze Frist war als Lieferfrist für einen Frachtführer nicht gänzlich unüblich.

Die Kurierfahrer konnten ihre Touren innerhalb des Zustellbezirks selbst bestimmen.

Den Kurierfahren war aufgrund einer sogenannten „Konkurrenzklausel“ gestattet, auch anderweitig unternehmerisch tätig zu werden und Beförderungsleistungen gegenüber Dritten am Markt anzubieten. Drei der Kurierfahrer hatten tatsächlich hiervon Gebrauch gemacht. Im Falle der anderen drei Kurierfahrer wies der BGH zurecht darauf hin, dass es ihnen jedenfalls freistand, ihre Leistungen am Markt anzubieten.

Die pro Sendung zu zahlende Vergütung war erfolgsabhängig vereinbart, variierte monatlich, und war mit jedem der sechs Subunternehmer individuell unterschiedlich ausgehandelt.

Da die sechs Kurierfahrer jeweils ein eigenes Fahrzeug einsetzten und die Risiken der Erreichbarkeit des Zustellungsadressaten, des Verlustes oder der Beschädigung der Ware sowie der rechtzeitigen Zustellung trugen, lag das unternehmerische Risiko für die Transportfahrten erkennbar bei den Kurierfahrern.

Die Kurierfahrer mussten die Aufträge nicht persönlich durchführen, sondern durften ihrerseits unterbeauftragen bzw einen Vertreter stellen.

Kommentar

Das höchste deutsche Strafgericht hatte nur eine Strafbarkeit nach § 266 a StGB zu prüfen. Nach dieser Vorschrift kann das vorsätzliche Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen regelmäßig mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe sanktioniert werden.

Seit dem 18. Juli 2019 hat sich die Rechtslage in Bezug auf die Scheinselbstständigkeit weiter verschärft. Nunmehr ist auch das fahrlässige Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen sanktioniert. Das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz sieht hier ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50.000,00 EUR (je Vorstoß) vor.

Im Zuge der Gesetzesänderungen ist u.a. das Gewerbe des Güterkraftverkehrs in den Fokus gerückt. Das Speditions‑, Transport- und damit verbundene Logistikgewerbe gehört zu den „besonders von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung betroffenen Branchen“. Das Logistikgewerbe muss daher unter dem Blickwinkel der Compliance gerüstet sein, um eine Strafbarkeit der verantwortlich handelnden Personen sowie hohe Geldbußen für Verstöße zu vermeiden.

Das Urteil des höchsten deutschen Strafgerichts verschafft da spürbare Linderung. Es bestätigt, dass ein Zustellsystem mit selbstständigen Transportfahrern geschaffen werden kann, ohne dass der auftraggebende Spediteur oder Frachtführer wegen einer Scheinselbstständigkeit schlaflose Nächte verbringen muss.

Der Test für die Abgrenzung der Arbeitnehmereigenschaft von der Tätigkeit eines Selbstständigen geht vom gesetzlichen Leitbild des Frachtführers aus: Erst erheblich weitergehende Bindungen, die über das übliche Transportgeschäft hinausgehen, können einer Arbeitnehmereigenschaft des Fahrers begründen. Um dies zu vermeiden, sind dem selbstständigen Transportfahrer hinreichende Spielräume zu belassen. Ein wesentlicher Faktor ist dabei das Betriebsmittel des Zustellfahrzeuges, das, wenn möglich, nicht vom Absender gestellt werden sollte.

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