Das BVerwG hat entschieden, dass Seeleute aus Drittstaaten einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit benötigen, wenn sie an Bord fremd geflaggter Schiffe tätig werden, die Offshore-Arbeiten im deutschen Küstengewässer verrichten. Das Urteil ist für die Offshore-Industrie von grundlegender Bedeutung.

Sachverhalt

Die drei ukrainischen Kläger waren als Seeleute an Bord eines Offshore-Supply-Schiffes unter panamaischer Flagge tätig. Das Schiff wurde im Rahmen der Errichtung eines Offshore-Windparks in der deutschen Ostsee eingesetzt, um Kabellegearbeiten auf dem Meeresboden vorzubereiten. Die Arbeiten erfolgten im deutschen Küstengewässer. Zwei Kläger verfügten über ein Schengenvisum Kategorie C, der dritte über seinen biometrischen Reisepass.

Nach einer Kontrolle durch die Bundespolizei wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von zwei Tagen zu verlassen. Dem kamen die drei Seeleute nach. Später reichten sie gegen die Ausreiseaufforderung Klage ein. Das VG Schleswig gab den Klagen statt. Die Bundespolizeidirektion legte hiergegen Sprungrevision direkt zum BVerwG ein.

Entscheidung

Das BVerwG gab der Revision statt und wies die Klagen ab.

Das Aufenthaltsgesetz ist auch im deutschen Küstenmeer zu beachten. Schifffahrtsrechtliche Besonderheiten rechtfertigten es nicht, von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels zu Erwerbszwecken nach §§ 4 Abs. 1, 4a Abs. 1 AufenthG für drittstaatsangehörige Seeleute abzusehen, die an Bord eines Schiffes im Rahmen von Offshore-Arbeiten im deutschen Küstengewässer tätig sind. Das ausgestellte Schengenvisum Kategorie C gestattet dabei nicht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Unionsgebiet.

Der Auffassung des VG Schleswig, dass die drei Seeleute vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gemäß § 26 AufenthV i.V.m. § 13 Abs. 2 AufenthG befreit waren, weil es von vornherein aufenthaltsrechtlich an einer Einreise in das Bundesgebiet fehlte, erteilt das BVerwG eine Abfuhr. Die §§ 24, 26 AufenthV seien vorliegend nicht einschlägig.

Praxis-Tipp
  • 24 Abs. 2 AufenthV regelt den Landgang von zivilem Schiffspersonal in der Seeschifffahrt. Die Regelung setzt denknotwendig voraus, dass die Tätigkeit an Bord nicht eines Aufenthaltstitels bedarf.
  • 26 AufenthV betrifft den Transitverkehr, bei dem rechtlich eine Einreise in das Bundesgebiet nicht erfolgt.

Beide Vorschriften legt das BVerwG für Seeschiffe im Sinne des Rechts der friedlichen Durchfahrt (innocent passage) nach Art. 17 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) aus. Seeleute an Bord von Schiffen, die die Grenze zum deutschen Küstenmeer überfahren, reisen jedenfalls dann in die Bundesrepublik ein, wenn nicht ein Fall friedlicher Durchfahrt nach Art. 17 SRÜ vorliegt und auch keine Absicht besteht, zeitnah eine Grenzübergangsstelle aufzusuchen. Das Recht auf friedliche Durchfahrt nach Art. 17 SRÜ umfasse nicht die vorgenommenen Offshore-Arbeiten. Bei einem Aufenthalt im Küstenmeer von mehreren Wochen oder Monaten könne nicht mehr von einer kurzzeitigen grenzüberschreitenden Durchreise gesprochen werden.

Bedeutung für die Seeschifffahrt

Die Entscheidung ist für die Offshore-Industrie und Seeschifffahrt von grundlegender Bedeutung.

In dem rechtlichen Spannungsfeld zwischen den gesetzlichen Bestimmungen der Seeschifffahrt und denjenigen zur Errichtung von Bauwerken behandelt das BVerwG Offshore-Windparks wie Bauwerke an Land. Die aufenthaltsrechtlichen Besonderheiten des Schifffahrtsrechts gelten nicht.

Windparkbetreiber, Übertragungsnetzbetreiber, sämtliche Auftraggeber und ‑nehmer von Werk- und Dienstleistungen, bei denen Seeleute im Küstengewässer eingesetzt werden, müssen im Rahmen ihrer Compliance künftig stärker darauf achten, dass es nicht versehentlich zu einer illegalen Beschäftigung von Ausländern kommt. § 404 Abs. 1 SGB III sieht bei Verstößen Bußgelder von bis zu EUR 500.000,00 vor.

Kommentar

Die Entscheidung des BVerwG schafft Rechtsklarheit. Aus Sicht der Praxis ist sie zu bedauern. Jahrelang vertrat das VG Schleswig eine abweichende Auffassung zugunsten der Seeschifffahrt. Das BVerwG folgte dieser „schifffahrtsrechtlichen Lösung“ nicht.

Ausländer, die im Inland arbeiten wollen, bedürfen aufenthaltsrechtlich noch immer grundsätzlich zweierlei:

  • Eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet.
  • Einer verwaltungsinternen Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.

Für die Seeschifffahrt gelten besondere Regelungen:

  • Seeleute, die Unionsbürger sind, benötigen für ihre Tätigkeit an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge oder in deutschem Küstengewässer keinen Aufenthaltstitel. Das schließt auch den Aufenthalt zur Vornahme von Offshore-Tätigkeiten ein.
  • Drittstaatsangehörige Seeleute benötigten für ihre Tätigkeit an Bord deutsch geflaggter Schiffe (Beispiel: Philippinischer Koch auf ISR-Schiff) bis September 2013 einen Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 4 AufenthG a.F.). Einer behördeninternen Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit wegen der Erwerbstätigkeit bedurfte es nicht (§ 24 Nr. 1 BeschV). Nach der Streichung des § 4 Abs. 4 AufenthG a.F. dürfen drittstaatsangehörige Seeleute an Bord von Schiffen unter Bundesflagge nunmehr ohne Aufenthaltstitel tätig sein. Dies gilt nach der Entscheidung des BVerwG voraussichtlich nicht für Offshore-Tätigkeiten im deutschen Küstengewässer.
  • Drittstaatsangehörige Seeleute auf Schiffen unter fremder Flagge benötigen nach der Entscheidung des BVerwG jedenfalls dann keinen Aufenthaltstitel, wenn ihr Schiff im Rahmen des Rechts auf friedlichen Durchfahrt gemäß Art. 17 SRÜ in deutsche Küstengewässer einfährt. Offshore-Tätigkeiten sind nicht vom Recht auf friedliche Durchfahrt erfasst. Hierfür bedarf es eines Aufenthaltstitels.
Praxis-Tipp

Seeleute aus Drittstaaten, die im deutschen Hoheitsgewässer Offshore-Tätigkeiten verrichten, müssen daher künftig entweder bereits bei Grenzübertritt auf dem Meer über einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken verfügen, oder zumindest – diesen Spielraum gewährt scheinbar das BVerwG – zeitnah eine Grenzübergangsstelle (im Hafen) aufzusuchen.

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