Problemstellung

Die im Titel aufgeworfene Frage längst entschieden oder ein Dauerbrenner lässt sich eindeutig beantworten: Sowohl als auch. Bedingungen von Berufsunfähigkeitsversicherungen sehen in der Regel vor, dass eine Berufsunfähigkeit, also der Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich zu melden ist (siehe auch § 30 Abs. 1 VVG). Manche Bedingungen sehen jedoch zusätzlich vor, dass Leistungsansprüche im Falle einer verspäteten Mitteilung erst mit Beginn des Monats der Mitteilung entstehen. Im Ergebnis erhält der Versicherungsnehmer dann für den Zeitraum vor der Mitteilung keine Leistungen. Und das selbst dann, wenn die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit vorgelegen hätten.

Es liegt auf der Hand, dass bereits häufig versucht wurde, diese Klausel für unwirksam erklären zu lassen, um Leistungen auch noch bei verspäteter Mitteilung für den vergangenen Zeitraum zu erhalten. Deswegen fand sich die Klausel bereits mehrfach auf dem juristischen Prüfstand. Auch der BGH hatte bereits vielfach über derartige Klauseln zu entscheiden und sie hierbei für wirksam erachtet. Auch in die Musterbedingungen des GDV fand die Klausel Einzug. Manche Versicherer verzichten jedoch auf die Klausel, um sich gegenüber Mitbewerbern abzuheben.

Deswegen sollte man annehmen, dass sich die Diskussionen rund um die Ausschlussfrist bei verspäteter Meldung der Berufsunfähigkeit erledigt hätte. Und dennoch rückt die Klausel immer wieder in den Fokus gerichtlicher Verfahren. Wird der Leistungsfall erst später mitgeteilt und verweigert der Versicherer unter Verweis auf die Vereinbarung die Leistung für den Zeitraum vor der Mitteilung, wird von Versicherungsnehmern immer wieder versucht, die Klausel anzugreifen. Daher ist die Antwort auf die aufgeworfene Frage „sowohl, als auch“. Obwohl über die Klausel längst entschieden wurde, ist sie nach wie vor ein Dauerbrenner.

Aktuelle Musterklausel des GDV

Unter § 1 Abs. 3 der Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) findet sich folgender Wortlaut als unverbindliches Muster zur fakultativen Verwendung für die Klausel:

„Der Anspruch auf Beitragsbefreiung und Rentenzahlung entsteht mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. Sie müssen uns die Berufsunfähigkeit in Textform mitteilen. Wird uns die Berufsunfähigkeit (z. B. Papierform oder E-Mail) später als […] nach ihrem Eintritt mitgeteilt, entsteht der Anspruch auf die Leistung erst mit Beginn des Monates der Mitteilung. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn die verspätete Mitteilung nicht verschuldet worden ist. Der Anspruch auf eine Erhöhung der Berufsunfähigkeitsrente wegen einer höheren Pflegestufe entsteht frühestens mit Beginn des Monats, in dem uns die Erhöhung der Pflegestufe mitgeteilt wird.“

In den Musterbedingungen des GDV wird darauf hingewiesen, dass die Dauer des Zeitraums, in welchem eine Berufsunfähigkeit anzuzeigen ist, unternehmensindividuell zu ergänzen ist. Hier findet sich oftmals ein Zeitraum von drei Monaten, manchmal aber auch ein längerer Zeitraum.

Wesentliche Rechtsprechung zur Klausel

Dem aktuellen Musterbedingungstext ging jedoch bereits eine langjährige, höchstrichterliche Rechtsprechung voraus.

BGH, Urteil vom 27.09.1989

Dem BGH lag bereits im Jahre 1989 (BGH, Urteil vom 27.09.1989, Az.: IVa ZR 132/88) eine ähnlich gelagerte Klausel vor. Die damalige Klausel sah vor, dass unter Einreichung des Versicherungsscheins schriftlich anzuzeigen ist, dass Leistungen wegen Berufsunfähigkeit beansprucht werden. Zudem waren unverzüglich weitere Unterlagen einzureichen, beispielsweise eine Darstellung der Ursache, ärztliche Berichte sowie Unterlagen über den Beruf.

BGH, Urteil vom 02.11.1994

Nur etwa fünf Jahre später hatte der BGH erneut über eine vergleichbare Vereinbarung zu entscheiden (BGH, Urteil vom 02.11.1994, Az.: IV ZR 324/93). Auch diese Vereinbarung sah vor, dass Leistungen erst mit Beginn des Monats der Anzeige beginnen sollen, wenn die Anzeige später als drei Monate nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit erfolgte. Zu den Einzelheiten der geforderten Anzeige gab es eine gesonderte Regelung. Zunächst wurde vorgeschrieben, dass die Anzeige schriftlich und unter Einreichung des Versicherungsscheins sowie zusätzlich unter Einreichung des Nachweises der letzten Beitragszahlung erfolgen muss.

Der BGH stellte zudem fest, dass die Einreichung der weiteren Beweismittel wie ärztliche Berichte (nur) eine Obliegenheit darstellen, an deren Verletzung nur bei Verschulden Rechtsfolgen geknüpft sind. Das Erfordernis der schriftlichen Anzeige stellte dagegen keine Obliegenheit dar, sondern bestimmte eine Ausschlussfrist. Denn es wird kein bestimmtes Verhalten verlangt, wie für Obliegenheiten üblich, sondern es wird eine zeitliche Befristung der Leistungspflicht bezweckt.

Der BGH unterzog die Bedingung im Rahmen des Urteils auch einer Inhaltskontrolle. Dabei stellte er grundsätzlich fest, dass eine solche Klausel unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der Ausschlussfrist den Versicherungsnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Klausel ist per se also wirksam. Allerdings ist die Klausel ausweislich der Feststellung des BGH so auszulegen, dass der Versicherer sich auf die Versäumung der Frist nicht berufen kann, wenn den Versicherungsnehmer daran kein Verschulden trifft. Das mangelnde Verschulden hat der Versicherungsnehmer zu beweisen.

OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.10.2009

Bereits 2009 hatte sich das OLG Karlsruhe (Urteil vom 20.10.2009, Az.: 12 U 79/09) mit einer ähnlichen Klausel zu befassen, die jedoch bereits die Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 1994 berücksichtigte. Die Vereinbarung wies folgende zusätzliche Regelung auf: „Wird uns jedoch nachgewiesen, dass die rechtzeitige Mitteilung ohne Verschulden unterblieben ist, werden wir rückwirkend ab Beginn des auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit folgenden Monats leisten.“ Die Möglichkeit des Entschuldigungsbeweises fand hier also sogar ausdrückliche Berücksichtigung im Bedingungstext.

Das OLG hatte ausweislich des Urteil keine Bedenken an der Wirksamkeit der Vereinbarung und folgte damit der Rechtsprechung des BGH. Auch sah das OLG den Wortlaut der Klausel als klar und eindeutig an. Eine überraschende Klausel sah das OLG darin ebenfalls nicht. Denn ein Überraschungseffekt, der nach Auffassung des Senats „beim Kunden eine Übertölpelung oder Überrumpelung“ herbeiführen sollte, bestand nicht. Vielmehr war der Senat der Auffassung, dass dem Versicherungsrecht generell die Verpflichtung des Versicherungsnehmers immanent sei, einen Versicherungsfall möglichst frühzeitig anzuzeigen.

Das OLG Karlsruhe beschäftigte sich insbesondere mit der Frage des Verschuldens der verspäteten Mitteilung. Demnach sei mangelndes Verschulden regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer vom Eintritt eines Zustands, der die Annahme bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit rechtfertigte, nichts wusste und ihn auch an der Nichtkenntnis kein Verschulden trifft. Beispielsweise kann ein Abwarten mit der Mitteilung, bis parallel über ein Verfahren wegen Erwerbsunfähigkeit entschieden ist, kein mangelndes Verschulden begründen.

BGH, Urteil vom 16.06.2010

Obwohl der BGH im Rahmen des Urteils von 1994 bereits umfassend zur Klausel entschieden hatte, wurde ihm im Zuge einer weiteren Entscheidung (BGH, Urteil vom 16.06.2010, Az.: IV ZR 226/07) erneut eine vergleichbare Klausel vorgelegt.

Der BGH hielt an seiner Entscheidung von 1994 fest und bestätigte die Einordnung der Klausel als Ausschlussfrist. Diese führe zu einem teilweisen Leistungsausschluss. Dieser beschränkt sich auf die Zeit vor Beginn des Mitteilungsmonats und hat keinen vollständigen Anspruchsverlust zur Folge, da Ansprüche für die Zukunft unberührt bleiben. Gleichfalls bestätigte der BGH nochmals die Auslegung der Klausel mit der Möglichkeit eines Entschuldigungsbeweises, selbst wenn die Bedingungen einen solchen nicht ausdrücklich vorsehen.

OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2021

Die jüngste Entscheidung in dieser Darstellung wurde vom OLG Hamm erlassen (Beschluss vom 22.06.2021, Az.: 20 U 106/21). Das OLG hatte ebenfalls über die Wirksamkeit einer solchen Klausel zu entscheiden und kam – entsprechend der Rechtsprechung des BGH – zu dem Ergebnis, dass die Klausel wirksam sei.

Zudem entschied das OLG, dass es weder einer besonderen Hervorhebung einer solchen Klausel in den Versicherungsbedingungen bedarf, noch eines gesonderten Hinweises durch den Versicherer auf die Ausschlussfrist. Schließlich könnte nach Auffassung des OLG nur die Anzeige des Versicherungsfalles eine solche Verpflichtung zum Hinweis auslösen und an dieser fehlt es in einem solchen Fall gerade.

Weiterhin wies das OLG darauf hin, dass ein Entschuldigungsbeweis nicht dadurch geführt werden kann, dass pauschal auf gesundheitliche Beeinträchtigungen hingewiesen wird. Der Versicherungsnehmer müsste darlegen, wie es ihm während der gesamten Dauer der Versäumung nicht möglich gewesen sein soll, aufgrund seiner Erkrankung die Berufsunfähigkeit auch nur anzuzeigen.

Der Beschluss des OLG Hamm wurde in VersR 2022, 96 veröffentlicht. Die Redaktion weist abschließend darauf hin, dass der Kläger die Berufung nach dem Hinweisbeschluss des OLG zurückgenommen hat.

Kommentar und Ratgeber

Es ist mittlerweile als gefestigte Rechtsprechung anzusehen, dass eine Klausel, die einen (teilweisen) Leistungsausschluss bei verspäteter Mitteilung des Versicherungsfalles im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung vorsieht, wirksam ist. Es handelt sich dabei auch eindeutig um eine Ausschlussfrist und nicht um eine Obliegenheit. Und selbst wenn die Klausel keine ausdrückliche Möglichkeit des Entschuldigungsbeweises in den Bedingungen vorsehen sollte, so ist die Klausel dennoch wirksam und entsprechend auszulegen. Es ist nicht ansatzweise eine Tendenz zu erkennen, dass sich die Rechtsprechung dazu ändern könnte. Vielmehr wird die langjährige Rechtsprechung immer wieder bestätigt.

An den Entschuldigungsbeweis werden zudem regelmäßig sehr hohe Anforderungen gestellt. Der beweisbelastete Versicherungsnehmer kann sich beispielsweise nicht – wie es in der Praxis oft vorkommt – pauschal auf seine Erkrankung berufen, wegen der er Berufsunfähigkeit geltend macht. Er müsste vielmehr konkret darlegen und beweisen, dass er im Zeitraum zwischen Eintritt der Berufsunfähigkeit und Mitteilung – dies kann leicht einen Zeitraum von mehreren Jahren umfassen – unverschuldet nicht einmal im Stande gewesen sei, einen Brief an die Versicherung zu schreiben, um den Umstand zu melden. Dies dürfte beispielsweise dann zu bejahen sein, wenn der Versicherungsnehmer langfristig handlungsunfähig intensivstationär behandelt wurde.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Klausel anerkannt ist und dadurch eine sichere Begrenzung von Leistungen für längst vergangene Zeiträume erfolgen kann. Denn in der täglichen Praxis kommt es nicht selten vor, dass Versicherungsnehmer Leistungen für weit zurückliegende Zeiträume geltend machen. Dann können Beträge in Höhe von mehreren Jahresleistungen im Raum stehen.

Um sich gleichzeitig gegen Leistungsansprüche für weit zurückliegende Zeiträume abzusichern und dennoch ein konkurrenzfähiges Produkt am Markt zu haben, bestünde für Versicherer auch die Möglichkeit, den Zeitraum für eine rechtzeitige Mitteilung anzuheben. Dafür bietet sich gegebenenfalls ein Zeitraum von einem Jahr anstatt der oftmals verwendeten drei Monate an. So steht ein kalkulierbares Risiko von einer Jahresleistung für den Versicherer einer großzügigen Mitteilungsfrist von einem Jahr für den Versicherungsnehmer gegenüber.

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