14.04.2022

Selbstständige Notärzte vor dem Aus? Entscheidungsbegründung des BSG jetzt veröffentlicht!

Nach langem Warten wurde nunmehr die vollständige Entscheidung des Bundessozialgerichtes (BSG) zur Sozialversicherungspflicht von Notärzten veröffentlicht (BSG, Urt. v. 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R). Das BSG begründet hierin die Sozialversicherungspflicht einer Notärztin anhand der für den jeweiligen Einzelabruf prägenden Umstände und damit letztlich mit der arbeitsteiligen Zusammenarbeit des Notarztes mit dem Rettungsfachpersonal am Einsatzort.

Da die in dieser Entscheidung für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Umstände unabhängig von den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen in den Rettungsdienstgesetzen und der jeweiligen vertraglichen Einbindung bundesweit nahezu identisch sind, ist davon auszugehen, dass nach der aktuellen Rechtslage eine selbstständige Tätigkeit als Notarzt nicht mehr möglich sein dürfte.

Sachverhalt

Der Entscheidung des BSG lag die nebenberufliche Tätigkeit einer Krankenhausärztin in Baden-Württemberg zugrunde.

Die Notärztin wurde auf Basis eines zwischen ihr und einer Hilfsorganisation, der nach Landesrecht die Trägerschaft für den öffentlichen Rettungsdienst übertragen war, tätig.

Der Vertrag enthielt die gängigen Hinweise und Vereinbarungen, um eine selbstständige Tätigkeit der Notärztin zu manifestieren. Hinzukommt, dass die Hilfsorganisation vorliegend nur im Auftrag und auf Rechnung der den Sicherstellungsauftrag für die notärztliche Versorgung innehabenden Krankenhäuser tätig wurde.

Die vertraglichen Vereinbarungen und die gesetzlichen Vorgaben zum Sicherstellungsauftrag waren für das BSG für die Beurteilung der Versicherungspflicht jedoch ebenso wenig maßgeblich wie das Verhältnis zwischen Rettungsdienstträgerin und den übrigen an der Sicherstellung beteiligten Stellen.

Das BSG stellte stattdessen primär auf die Umstände während des übernommenen Dienstes ab und prüfte, ob die Tätigkeit der Notärztin weisungsgebunden erfolgte und ob sie in den Betrieb der Hilfsorganisation eingegliedert war.

Dies war nach Ansicht des BSG aus den nachfolgenden Gründen der Fall:

  • Der Notärztin wurden die Einsätze durch die von der Hilfsorganisation als Trägerin des Rettungsdienstes betriebene Leitstelle zugewiesen
  • Die Notärztin musste sich an dem von der Hilfsorganisation vorgegebenen Ort aufhalten (Klinik bzw. Rettungswache)
  • Die Notärztin wurde mit einem von der Hilfsorganisation gestellten Rettungsmittel inkl. Fahrer zum Einsatzort verbracht
  • Am Einsatzort nahm die Notärztin die Versorgung des Patienten unter Heranziehung des Rettungsfachpersonals der Trägerin und des von dieser zur Verfügung gestellten Materials vor
  • Die Notärztin war während des Einsatzes gegenüber dem Rettungsfachpersonal weisungsbefugt
  • Die Notärztin unterlag den medizinischen Handlungsleitlinien und Empfehlungen des Rettungsdienstbereichs

 

Diesen, für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechenden Aspekten konnten nach Ansicht des BSG keine gewichtigen, für eine Selbstständigkeit sprechenden Umstände entgegengehalten werden. Denn die Tätigkeit der Notärztin während eines Einsatzes sei von derjenigen Tätigkeit angestellter Notärzte nicht zu unterscheiden. Zudem bestehe für die Notärztin keine Möglichkeit, durch eigenes unternehmerisches Geschick auf das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten einzuwirken, sodass das für eine selbstständige Tätigkeit prägende unternehmerische Risiko nicht bestehe. Letztlich konnte die Ärztin ihre Dienste auch nicht direkt gegenüber den Patienten bzw. deren Krankenkassen abrechnen, sie erhielt ihre Vergütung vielmehr – wie für einen Arbeitsvertrag typisch – vom Rettungsdienstträger und damit dem Vertragspartner für ihre Einbindung in den Notarztdienst.

Auch der Einwand, dass die Umstände für die Abwicklung eines Einsatzes auf gesetzliche Vorgaben und die Natur der Sache, mithin die durch medizinisch wie auch rechtliche Strukturen vorgegebenen Abläufe eines Notfalleinsatzes, ließ das BSG nicht gelten. Diese – vom BSG unter dem Stichwort „Rettungskette“ zusammengefassten – Abläufe und auch die normativen Vorgaben seien als prägende Umstände der Tätigkeit für die Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Da diese Umstände vorliegend für eine abhängige Beschäftigung sprächen, liege im Ergebnis eine versicherungspflichtige Tätigkeit vor.

An diesem Ergebnis ändert nach Ansicht des BSG auch durch die im Jahr 2017 neu geschaffene Regelung in § 23 c Abs. 2 Satz 1 SGB IV nichts, da diese nur die Frage der Beitragspflicht und nicht der Versicherungspflicht betrifft.

Fazit

Da das BSG für seine Beurteilung auf den einzelnen Einsatz des Notarztes abstellt und sich dieser aufgrund der einschlägigen Regelungen bundesweit gleich bzw. sehr ähnlich gestaltet, ist davon auszugehen, dass die selbstständige Tätigkeit von Notärzten vor dem Aus steht. Denn unabhängig davon, mit wem der Notarzt den Vertrag über seine Einbindung schließt und welchen Inhalt dieser Vertrag hat, wird sich das Einsatzgeschehen und damit die für die Beurteilung der Versicherungspflicht maßgebliche Tätigkeit nicht ändern.

Letztlich ist noch anzumerken, dass es sich um eine sozialrechtliche und keine arbeitsrechtliche Entscheidung handelt. Die Feststellung, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt hat damit nicht automatisch zur Folge, dass auch ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne besteht. Allerdings setzt auch ein Arbeitsverhältnis eine weisungsgebundene Tätigkeit voraus. Da die Feststellung der Weisungsgebundenheit durch das BSG auf den systemisch bedingten Abläufen eines Notfalleinsatzes beruht, ist unserer Ansicht nach auch eine entsprechende Bewertung im Arbeitsrecht zwingend, sodass letztlich nicht nur eine abhängige Beschäftigung im Sinne des Sozialrechts, sondern auch ein Arbeitsverhältnis anzunehmen ist, für welches insbesondere die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und ggf. auch des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu beachten sind.

In der Konsequenz müssen nun insbesondere die Träger des Rettungsdienstes die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes von Notärzten in ihrem Bereich prüfen.

Autoren: Daniel Bens, Rechtsanwalt, Partner und Martina Hadasch, Rechtsanwältin, Counsel