Regionalflughäfen und EU-Beihilferecht – neue Wendungen in einer schwierigen Beziehung
Wenige Wirtschaftsteilnehmer sorgen für seine so umfangreiche und vielfältige beihilferechtliche Kasuistik wie die Regionalflughäfen. Einige neue Entscheidungen tragen nun weitere Facetten zu dieser Fallpraxis bei.
Kürzlich erklärte das Gericht der Europäischen Union eine Entscheidung der Europäischen Kommission, mit der Beihilfen zugunsten eines Regionalflughafens in Rumänien für rechtmäßig erklärt wurden, teilweise für nichtig. Nur einen Tag später schlug Generalanwalt Priit Pikamäe dem Gerichtshof in seinen Schlussanträgen vor, ein Urteil gegen die Beihilfeentscheidung der Kommission zugunsten des Flughafens Hahn wegen Rechtsfehlern aufzuheben.
Die Kommission sieht sich somit wiederholten Korrekturen ihrer Entscheidungen ausgesetzt. Sie wird sich auch bald mit der Verlängerung der Leitlinien für Flughäfen und Fluggesellschaften über das Jahr 2023 hinaus beschäftigen müssen. Viele Fördermaßnahmen werden zumindest noch im Jahr 2024 weiterlaufen dürfen.
EuG: Urteil vom 9. März 2023, Rs. T-522/20 – Timișoara / Wizz Air
Am 9. März 2023 erklärte das Gericht der Europäischen Union den Beschluss der Kommission über die Rechtmäßigkeit der gewährten Beihilfen am internationalen Flughafen Timișoara zugunsten von Wizz Air teilweise für nichtig. Mit dem Beschluss genehmigte die Kommission Fördermittel, die Rumänien von 2007 bis 2009 dem drittgrößten Flughafen im Land gewährt hatte. Außerdem befasste sich die Kommission mit Flughafengebühren aus den Jahren 2007, 2008 und 2010, einschließlich gewährter Rabatte sowie mit bestimmten Vereinbarungen zwischen dem Flughafenbetreiber und Wizz Air aus dem Jahr 2008.
Das Gericht urteilte, dass der Kommission mehrere Fehler bei der Prüfung der Selektivität und der Vorteilhaftigkeit der betreffenden Maßnahmen unterlaufen sind. Dabei scheint es, dass das Gericht auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Selektivität (Rs. C-524/14 P – Flughafen Lübeck) zumindest teilweise in Frage stellt. Die Kommission hatte seinerzeit die Ansicht vertreten, dass eine Maßnahme dann selektiv sei, wenn sie nur für bestimmte Wirtschaftszweige oder bestimmte Unternehmen eines Wirtschaftszweiges gelte. Gebühren- oder Entgeltordnungen gälten stets nur für bestimmte Infrastrukturen und seien daher in jedem Fall selektiv. Der Gerichtshof folgte dieser Ansicht nicht und stellte für die Frage der Selektivität nicht auf die Natur der betreffenden Maßnahme, sondern auf deren Wirkung ab. Absprachen über Flughafengebühren seien demzufolge dann nicht selektiv, wenn sie transparent und nicht diskriminierend sind. Demgegenüber argumentiert das Gericht nun, dass – auch wenn die Kriterien des Gewichts des Flugzeugs und der Anzahl der Passagiere objektiv seien – eine de-facto Selektivität auch dann festgestellt werden könne, wenn die formellen Kriterien für die Anwendung der Maßnahme zwar allgemein und objektiv formuliert seien, also von anderen Fluggesellschaften erfüllt werden könnten, aber im individuellen Fall so ausgestaltet seien, dass sie eine bestimmte Gruppe von Unternehmen erheblich begünstigen.
Darüber hinaus urteilte das Gericht, dass die Kommission ihre Entscheidung über einen wirtschaftlichen Vorteil nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Während bisher nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit den Unternehmen auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt bekannten Elemente erfolgen musste, hat die Kommission eine alternative Methode zu Beurteilung dieser Frage gewählt. Diese beruht auf der nachträglichen Rekonstruktion von Geschäftsplänen, in die Parameter einfließen, die auf der Grundlage wahrscheinlicher Prognosen vor dem Datum des Vertragsabschlusses festgelegt wurden. Die Einschätzung der Kommission, dass ein privater marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsteilnehmer die Verträge zwischen Timişoara Airport und Wizz Air aus dem Jahr 2008 auch geschlossen hätte, stützt sich allerdings ausschließlich auf nachträglich ermittelte Beweise. Dies wurde vom Gericht als rechtswidrig angesehen. Das Gericht entschied, dass die Schlussfolgerung der Kommission, dass die öffentliche Finanzierung Wizz Air keinen wirtschaftlichen Vorteil verschafft habe, den sie unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte und der daher keine staatliche Beihilfe darstelle, auf keinen Unterlagen basiert, die vor dem Abschluss der Vereinbarung aus dem Jahr 2008 datieren. Die Entscheidung der Kommission sei insofern nicht ausreichend begründet.
Den Parteien steht es nun frei, gegen die Entscheidung des Gerichts innerhalb von zwei Monaten und zehn Tagen nach ihrer Zustellung ein Rechtsmittel beim Gerichtshof einzulegen. Es ist daher zu erwarten, dass dieses Verfahren zukünftig auch den Gerichtshof beschäftigen wird.
EuGH: Generalanwalt empfiehlt Aufhebung des EuG Urteils zum Flughafen Hahn (C-466/21 P)
Währenddessen war man auch am Gerichtshof nicht untätig. Bereits im vergangenen Jahr entschied der Gerichtshof zugunsten von Förderungen in Zusammenhang mit Regionalflughäfen auf Sardinien in Höhe von etwa EUR 45 Mio. (EuGH, Urt. v. 17.11.2022 – C-331/20 P, C-343/20 P – Volotea u.a.). Nun meldete sich der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Priit Pikamäe zur staatlichen Förderung des Flughafens Hahn und veröffentlichte nur einen Tag nach der Entscheidung des Gerichts seine Schlussanträge in der Rechtssache C-466/21 P und empfiehlt die Aufhebung des Urteils des Gerichts.
Die Kommission hatte dem Bundesland Rheinland-Pfalz 2017 erlaubt, Betriebsverluste des Flughafens Hahn in Höhe von EUR 25,3 Millionen Euro zu decken. Die Beihilfe wurde von der Kommission ohne förmliches Prüfverfahren genehmigt. Dies wurde zum einen damit begründet, dass es im selben Einzugsgebiet keine weiteren Flughäfen gäbe, zum anderen mit den geringen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel in den Mitgliedstaaten. Die Lufthansa hingegen sah die Ausgleichszahlungen als wettbewerbsverzerrend an und hatte deshalb beim Gericht Klage erhoben. Dieses hat die Kommissionsentscheidung zu Gunsten des Flughafens Hahn für nichtig erklärt (Urt. v. 19.05.2021, Az. T-218/18) und dies damit begründet, dass die Prüfung der Kommission unzureichend und unvollständig gewesen sei. Die Kommission hätte sämtliche nach den Leitlinien der Kommission für staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften (Aviation Guidelines) vorgeschriebene Kriterien zur Beurteilung des Einzugsgebiets prüfen müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen. Die Kommissionsentscheidung sei daher nicht geeignet, alle Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu beseitigen.
Das Urteil des Gerichts von 2021 ist nach Auffassung des Generalanwalts nicht haltbar. Der Generalanwalt führt aus, dass das Gericht bei seiner Entscheidung Rechtsfehler begangen habe. Das Gericht habe sowohl gegen den Grundsatz der Begründungspflicht als auch gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstoßen.
Insbesondere habe das Gericht nicht ausreichend begründet, inwiefern die Flüge der Lufthansa vom Flughafen Frankfurt und solcher von Ryanair von Hahn in einem Wettbewerbsverhältnis stehen. Es finde keine Unterscheidung zwischen der Nutzung des Flughafens Frankfurt als „Hub“ durch Lufthansa und dem „Punkt-zu-Punkt-Verkehr“ durch Ryanair in Hahn statt. Zudem fehle es am Vortrag durch Lufthansa zum etwaigen Wettbewerbsverhältnis, insbesondere zwischen den Flughäfen Frankfurt und Hahn.
Kommission: Verlängerung der Beihilfeleitlinien für Flughäfen und Fluggesellschaften über 2024 hinaus
Auch die Kommission wird in den nächsten Wochen nicht um die Befassung mit diesen Themen umhinkommen.
Wie Medienberichten zu entnehmen ist, steht auch die Entscheidung der Kommission, ab 2024 keine Beihilfen für Regionalflughäfen mehr zuzulassen, auf der Kippe. Zwar sei eine Entscheidung in der Sache noch nicht gefallen, doch mehren sich die Anzeichen, dass das in den Aviation Guidelines ab 2024 beginnende Beihilfeverbot für Regionalflughäfen vorerst ausgesetzt bleiben soll. Die Kommission hatte die Aviation Guidelines seinerzeit verabschiedet, um die in Europa vielerorts stattfindende Dauersubventionierung von Regionalflughäfen zu unterbinden. Diese sei mit den Regeln des EU-Binnenmarktes nicht unbegrenzt vereinbar.
Das Beihilfeverbot der Aviation Guidelines würde dazu führen, dass ab 2024 keine Betriebsbeihilfen mehr für Flughäfen mit weniger als 3 Mio. Passagieren pro Jahr zulässig wären. Dies würde in Deutschland 14 von 24 Hauptverkehrsflughäfen betreffen. Angesichts der nunmehr stark gesunkenen Passagierzahlen durch die Covid-19 Pandemie sieht die Kommission sich aber offenbar zum Handeln gezwungen. Es kann daher gespannt auf die Entscheidung der Kommission geblickt werden. Diese sei jedoch nicht vor der 2. Jahreshälfte 2023 zu erwarten.
Autoren: Prof. Dr. Moritz Lorenz und Lars Hettstedt