Keine Bereichsausnahme in NRW
Die Vergabekammer Westfalen hält in ihrem Beschluss vom 15.06.2022 (VK 1-20/22) die Bereichsausnahme Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen für nicht anwendbar.
Sachverhalt
Eine kreisangehörige Stadt in Nordrhein-Westfalen, die gemäß § 6 Abs. 2 RettG NRW Trägerin von Rettungswachen ist, richtete einen zusätzlichen Standort ein und entschied sich dazu, dessen Betrieb an Dritte zu vergeben. Hierbei wollte sie von der Bereichsausnahme Rettungsdienst gemäß § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB Gebrauch machen und den Kreis der potentiellen Bieter auf gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen beschränken und damit ein Verfahren außerhalb des Vergaberechts durchführen.
Hierzu schrieb sie vier gemeinnützige Hilfsorganisationen an und forderte sie zur Angebotsabgabe auf. Andere gemeinnützige Organisationen und nicht gemeinnützige Unternehmen wurden nicht angeschrieben. Die Vorgaben des 4. Teils des GWB für ein Vergabeverfahren wurden nicht beachtet. Die Antragstellerin im streitgegenständlichen Verfahren erfuhr aus der Presse von dem Vertragsschluss und stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag.
Entscheidung
Diesem Nachprüfungsantrag gab die Vergabekammer nun statt und entschied, dass der geschlossene Vertrag unwirksam sei und die Stadt bei Fortsetzung der Beschaffungsabsicht eine Vergabe nach der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchführen müsse.
Die Vergabekammer begründet ihre Entscheidung damit, dass die Voraussetzungen der Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB nicht gegeben seien. Die Voraussetzungen einer Ausnahme vom Wettbewerb seien dabei grundsätzlich eng auszulegen. Die Bereichsausnahme Rettungsdienst knüpfe zudem auch nicht – wie sonst üblich – an den Auftragsgegenstand Rettungsdienst an, sondern diene dem Schutz der begünstigten Gruppe der gemeinnützigen Organisationen. Daher gäbe es auch keinen Automatismus dahingehend, dass Leistungen der Notfallrettung grundsätzlich und ausschließlich ohne Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften vergeben werden dürften. Es komme daher darauf an, dass auch eine Erbringung durch gemeinnützige Organisationen erfolge. Wer die Leistung in der Vergangenheit erbracht habe bzw. wer die Leistung in Zukunft konkret erbringen werde, sei nicht relevant. Denn ansonsten würde die Anwendbarkeit des Vergaberechts von Zufällen abhängen.
Maßgeblich sei vielmehr die Ausgestaltung der landesrechtlichen Regelung für die Übertragung rettungsdienstlicher Leistungen. Lasse diese die Privilegierung gemeinnütziger Organisationen bei der Vergabe von Rettungsdienstleitungen zu, so sei der Anwendungsbereich der Bereichsausnahme eröffnet. Besteht eine Gleichrangigkeit bei der Beauftragung gemeinnütziger Organisationen und privater Akteure, so könne sich der Auftraggeber nicht auf die Bereichsausnahme berufen.
Solche Privilegierungen fänden sich beispielsweise in Hamburg und Brandenburg. In Bayern und Niedersachsen hingegen bestünde eine Gleichrangigkeit zwischen gemeinnützigen Organisationen und gewerblichen Anbietern, so dass die dortigen Gerichte die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme ebenfalls abgelehnt hätten.
Anmerkung: Zu beachten ist hierbei jedoch, dass sich die Rechtslage in Niedersachsen bereits geändert hat und in Bayern zum 01.11.2022 ändern wird, was jedoch lediglich Auswirkungen auf zukünftige Entscheidungen in den jeweiligen Bundesländern haben wird.
In Nordrhein-Westfalen fände sich keine Privilegierung in § 13 RettG NRW. Auch hier wären anerkannte Hilfsorganisationen und andere Leistungserbringer gleichrangig zu berücksichtigen. Es ließen sich auch aus der Reihenfolge der Nennung, dem Vergleich zur Vorgängervorschrift oder der Gesetzesbegründung keine anderen Rückschlüsse ziehen.
Im Ergebnis könne die Bereichsausnahme Rettungsdienst somit in Nordrhein-Westfalen keine Anwendung finden und die Durchführung eines Vergabeverfahrens nach dem 4. Teil des GWB wäre vorliegend erforderlich gewesen. Der geschlossene Vertrag sei daher gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam.
Auswirkungen für die Praxis
Zunächst ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen hat. Denn die Vergabekammer begründet ihre Entscheidung ausführlich damit, dass es für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme auf die konkrete landesrechtliche Regelung ankomme. Nur wenn die jeweilige Regelung im Landes-Rettungsdienstgesetz eine Privilegierung von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen zulässt, kann die Bereichsausnahme genutzt und auf ein Vergabeverfahren nach dem 4. Teil des GWB verzichtet werden. Dies ist in Nordrhein-Westfalen derzeit nach Ansicht der Vergabekammer nicht der Fall.
Beispielsweise in Hamburg oder Schleswig-Holstein und ab dem 01.11.2022 auch in Bayern liegt die Sachlage gänzlich anders. Die gesetzlichen Regelungen dort und auch in einigen anderen Bundesländern lassen eine Privilegierung gemeinnütziger Organisationen und damit auch die Anwendung der Bereichsausnahme zu.
Für Kommunen in Nordrhein-Westfalen hingegen dürfte derzeit ein Verfahren nach dem Kartellvergaberecht notwendig sein, wenn man nicht erhebliche rechtliche Risiken eingehen möchte. Da die Entscheidung jedoch noch nicht rechtskräftig ist, bleibt abzuwarten, ob und wie sich das Oberlandesgericht Düsseldorf zu dieser Frage positioniert. Aber selbst wenn das OLG die Entscheidung der Vergabekammer bestätigt, wäre jedoch der Landesgesetzgeber in der Lage, eine entsprechende Privilegierungsregelung in das Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen aufzunehmen und so den Kommunen – vorbehaltlich einer der Verfassungsmäßigkeit der Regelung – die Anwendung der Bereichsausnahme zu ermöglichen.
Autoren: Daniel Bens, Rechtsanwalt, Partner und Martina Hadasch, Rechtsanwältin, Counsel
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