10.09.2020

Dual-Use Produkte: Bei der Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Reinigungsmitteln ist die überwiegende Zweckbestimmung entscheidend

Frankfurt, 10.09.2020

Erstmalig hat ein deutsches Obergericht die Frage der Abgrenzung von Lebensmitteln und Reinigungsmitteln sowie der sich daraus ergebenden Anwendbarkeit der vom Hersteller einzuhaltenden Rechtsvorschriften beurteilt.

Danach ist ein Reinigungsmittel nicht allein deshalb von den Pflichten der Biozid- und CLP-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen befreit, weil es nebensächlich auch als Lebensmittel beworben wird. Das würde dem Schutzzweck dieser Verordnungen, ein möglichst hohes Schutzniveau für den Verbraucher zu sichern, widersprechen.

Wie auch bei der Abgrenzung von Kosmetikprodukten und Arzneimitteln zu Lebensmitteln, kommt es bei der Abgrenzung von Reinigungsmitteln und Lebensmitteln auf die überwiegende Zweckbestimmung an. Das hat der 6. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main auf Beschwerde von ARNECKE SIBETH DABELSTEIN für Werner & Mertz, den Hersteller der „Frosch“ Produkte, abschließend in einem einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden und hierzu eine umfangreiche Begründung verfasst (Az. 6 W 85/20).

Der für die „SURIG Essigessenz“ bekannte Lebensmittelhersteller Speyer & Grund hat versucht, sich mit der neuen Produktreihe „SURIG Essigspray“ und „SURIG Essigspray EXTRA STARK“ am Reinigungsmittelmarkt zu positionieren. Die Mittel bestehen aus Wasser und 7,5% Essigsäure, bzw. 10 % Essigsäure und einem unbekannten Anteil Zitronensäure und sind in den allein für Reinigungsmittel verwendeten und als solche bekannten Sprayflaschen abgefüllt.

Die für Biozide und gefährliche chemische Gemische erforderlichen Kennzeichnungs-, Hinweis- und Mitteilungspflichten sowie die Werbeverbote der Biozid-Verordnung beachtete der Hersteller dabei nicht. Es fand sich keiner der erforderlichen Warnhinweise auf den Sprühflaschen, dafür zahlreiche verharmlosende Aussagen wie „natürliche und umweltverträgliche Alternative zur klassischen Desinfektion “ oder „schonend für Mensch und Umwelt“.

Obwohl die SURIG-Produkte gezielt in den Wettbewerb mit anderen Reinigungsmitteln getreten sind und auch so in den Einzelhandelsläden im Regal positioniert wurden, veranschlagte man hierauf nur eine Lebensmittel-MwSt von 6 % entgegen der Wettbewerber der Wasch-, Pflege- und Reinigungsmittelbranche, die für den Verkauf vergleichbarer Produkte 16 % an den Fiskus erstatten.

Die Nichtbeachtung der Biozid- und CLP-Verordnung rechtfertigte man damit, dass es sich bei den Produkten um Lebensmittel handele, da sie auch dafür verwendet werden könnten, Salate zu würzen.

Die Aufmachung der Produkte in Sprühflaschen für Reinigungsmittel und mit einer blitzblanken, offensichtlich gerade gereinigten Küche auf dem Etikett, war jedoch für jedermann erkennbar die eines Reinigungsproduktes.

Darüber hinaus bewarb man die Produkte dominant und in einer Vielzahl von Medien mit Aussagen wie „Beseitigt 99,99% aller Bakterien, Schimmelpilze und spezielle Viren“ oder „entfernt natürlich wirksam Kalk und lässt mit der Kraft des reinen Essigs Armaturen wieder glänzen“ sowie „Naturhygiene“.

Speyer & Grund veröffentlichte auch ein Werbevideo, in dem ein Vater das Produkt zum Reinigen von Küche und Fenstern und sonstigen Armaturen verwendete, bevor er es – zum Entsetzen des Kindes – auf den Salat sprüht. Hinweise auf die mögliche Verwendung als Lebensmittel erfolgten nur nebenbei.

Dem hat sich Werner & Mertz, Hersteller unter anderem der „Frosch“ Produkte, vertreten durch ARNECKE SIBETH DABELSTEIN für den Wettbewerb, die Verbraucher und die Umwelt – auch zur Wahrung der Interessen der gesamten Reinigungsmittelindustrie und der Verbraucher – entgegengestellt und vom OLG Frankfurt am Main in der Sache vollumfänglich Recht bekommen.

Nachdem das LG Frankfurt den Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung wegen Verstößen gegen die Biozid-, CLP- und REACH- sowie des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz – ChemG) noch mit dem pauschalen Hinweis abgewiesen hatte, die Produkte seien auch Lebensmittel und deshalb von den genannten Verordnungen ausgenommen, hat der 6. Zivilsenat des OLG Frankfurt am Main dem nun deutlich widersprochen und die Unterlassungsverfügung – wie beantragt – erlassen.

Auch bei der Abgrenzung von Lebensmitteln und Bioziden bzw. gefährlichen Gemischen im Sinne der CLP-Verordnung kommt es darauf an, für welchen Zweck das Produkt überwiegend bestimmt ist. Die strengen chemikalienrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Verbraucher und der Umwelt können nicht durch jede noch so untergeordnete Sekundärbestimmung als Lebensmittel umgangen werden.

Das würde dem Zweck der Verordnungen, nämlich ein besonders hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten, widersprechen und zu erheblichen Missbrauchsgefahren führen.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gibt es nicht. Es bleibt abzuwarten, ob Speyer & Grund die Entscheidung als endgültige anerkennt. Sollte das nicht geschehen, wird sich der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt in naher Zukunft erneut mit dieser Frage in einem Hauptsacheverfahren beschäftigen dürfen.

Vertreter Werner & Mertz:

ARNECKE SIBETH DABELSTEIN (Frankfurt): Dr. Thomas C. Körber; Thomas Wassenhoven

Inhouse (Mainz): Dominik Noll (federführend); Irena Geier

Vertreter Speyer & Grund:

Squire Patton Boggs (US) LLP (Frankfurt): Dr. Christopher Eggers

Über ARNECKE SIBETH DABELSTEIN

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