31.05.2022

Bundesarbeitsgericht zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung mit Auslandsbezug

Das BAG hat mit Urteil vom 26. April 2022 – 9 AZR 228/21 –  entschieden, dass §§ 9 und 10 AÜG bei unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung aus dem Ausland keine Eingriffsnormen nach Art. 9 ROM-I sind. Es kommt demnach kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande. Diese Frage war bislang streitig.

Dem Urteil lag ein Sachverhalt aus 2014 zugrunde, also vor der AÜG Reform 2017. Die Entscheidung ist dennoch für zukünftige Sachverhalte wichtig, da die §§ 9 und 10 AÜG in den hier entscheidenden Passagen unverändert geblieben sind.

So heißt es heißt in § 9 AÜG a.F. und n.F. weiterhin auszugsweise: Unwirksam sind 1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat.  § 10 AÜG lautet weiterhin: Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 AÜG unwirksam, so gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeitvorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen.

Art. 9 (1) ROM-I VO besagt, dass eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift ist, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Das sah das BAG in Hinblick auf §§ 9 und 10 AÜG anders.

Sachverhalt

Die Klägerin im entschiedenen Fall war französische Staatsangehörige, wohnhaft in Frankreich. In Oktober 2014 wurde sie bei einer französischen Firma mit Sitz in Frankreich als Ingenieurin eingestellt. Das Arbeitsverhältnis unterlag kraft Rechtswahl französischem Recht.

Vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. April 2016 wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin, die keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG a,F. besaß,  im Betrieb der Beklagten in Deutschland/Karlsruhe („Entleiherin“) als Technikerin eingesetzt. Die Arbeitgeberin in Frankreich kündigte das Arbeitsverhältnis schließlich.

Mit ihrer Klage beantragte die Klägerin festzustellen, dass sie zur Beklagten seit dem 1. Oktober 2014 in einem Arbeitsverhältnis stand, und verlangte außerdem Differenz-, Überstunden- und Annahmeverzugsvergütung. Sie hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF zum 1. Oktober 2014 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Sie sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden. Der Arbeitsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin sei, obwohl für das Arbeitsverhältnis französisches Recht gelte, in Deutschland infolge der unerlaubten Überlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG aF unwirksam. Bei der Bestimmung handele es sich um eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO, die unabhängig von der von den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Rechtswahl gelte.

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ihr überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.

Entscheidung

Das BAG stellte fest, es sei kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen. Dazu sei Voraussetzung ein unwirksamen Leiharbeitsverhältnis nach § 9 AÜG. Dieses läge aber nicht vor, da der (unwirksame) Überlassungsvertrag nicht deutschen, sondern dem von den Partien gewählten französischen Recht unterlag. Weder Das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) noch das AÜG selbst würden anordnen, dass § 9AÜG gegenüber dem ausländischen Recht Vorrang habe.   § 2 Nr. 4 AEntG a.F., dessen Neufassung in den hier relevanten Passagen nicht geändert wurde, bestimmt, dass   die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden sei. Diese Regelung beziehe sich aber nur auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften des nationalen Rechts, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern regeln, sowie auf die im Inland geltenden gewerbe-, vermittlungs- und erlaubnisrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung. Die Vorschrift regle nicht den Bestand des Leiharbeitsverhältnisses.

Auch sei § 9 Nr. 1 AÜG a.F keine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gewähre Leiharbeitnehmern und Leiharbeitnehmerinnen, die von ihren Arbeitgebern aus einem anderen Mitgliedstaat der europäischen Union ins Inland überlassen werden, keinen Schutz, der über den hinausgeht, der durch § 2 AEntG aF (und n.F.)  gewährleistet wird. Der in Art. 9 ROM-I VO Wahrung des öffentlichen Interesses sei mit den Bußgeldvorschiften des § 16 AÜG genüge getan.

Für Fragen zur Arbeitnehmerüberlassung, auch mit Auslandsbezug, wenden Sie sich gerne an die Mitglieder der Practice Group Employment bei ASD:

Constanze Heymann, Annette Knoth, Nadine Junghenn, Hans Georg Helwig, Anne Nolde, Jörg Noltin, Sarah Neuhaus, Schahin Haghani, Marei Nohlen, Thomas Hartmann  und Esther Mallach.