18.03.2020

Ist die Corona-Pandemie ein Fall höherer Gewalt? Der Coronavirus aus Commercial-Sicht

Das Coronavirus SARS-CoV-2 breitet sich weltweit immer weiter aus und wirkt sich massiv auf das Wirtschaftsleben aus: Lieferketten stocken, große Handelsmessen, Sportveranstaltungen und ganze Ligen werden verschoben, ausgesetzt oder sogar vollständig abgesagt.

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler sprachen sich zuletzt eindeutig für die Absage von Veranstaltungen über 1.000 Teilnehmern aus. Das Auswärtige Amt hat aufgrund der Coronavirus-Pandemie eine (Teil-) Reisewarnungen für China erlassen, Italien hat sich selbst vollständig zur Sperrzone erklärt, weitere Länder haben weitreichend Quarantänemaßnahmen getroffen.

Zwangsläufig stellt sich in einer solchen Situation die Kostenfrage. Wer trägt das Risiko dafür, dass Lieferzeitpunkte nicht eingehalten werden können, wer für vergeblich getätigte Aufwendungen?

Sowohl im internationalen Geschäftsverkehr als auch im nationalen Recht ist dieses Spannungsverhältnis ganz maßgeblich durch den Begriff der „höheren Gewalt“ geprägt. Ein Begriff, der im deutschen Rechtssystem zwar kaum vorkommt, im UN-Kaufrecht durch Art. 79 CISG und in internationalen Vertragswerken aber eine enorme Verbreitung und Bedeutung hat. Die Mehrzahl der kommerziellen Verträge enthält eine sogenannte „Force Majeure“-Klausel, die für den Fall der höheren Gewalt eine Risikoumverteilung bewirkt – vom Lieferanten auf den Empfänger, vom Veranstalter auf den Teilnehmer usw. Aber auch wenn keine solche „Force Majeure“-Klausel vereinbart ist, ist die Frage nach der höheren Gewalt relevant, denn sie beantwortet im Rahmen von § 275 BGB und § 313 BGB deckungsglich auch, ob ein Leistungshindernis in den Risikobereich des Verpflichteten fällt, oder er einen Leistungsausfall aufgrund der äußeren Umstände ausnahmsweise nicht zu vertreten hat.

Derzeit stellt sich deshalb konkret die Frage:

Ist die Coronavirus-Pandemie ein Fall höherer Gewalt?

Diese Frage kann sicherlich mit „ja“ beantwortet werden. Die Rechtsprechung definiert höhere Gewalt als

„betriebsfremdes, von außen herbeigeführtes Ereignis, das unvorhersehbar und ungewöhnlich ist und das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann“ (BGH NJW-RR 2008, 335, 336).

Diese Voraussetzungen treffen auf die Coronavirus-Pandemie zum jetzigen Zeitpunkt zweifelsohne zu.

Mit dieser Feststellung stellt sich nun die Folgefrage:

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Die Tatsache, dass es sich bei der Coronavirus-Pandemie selbst um einen Fall der höheren Gewalt handelt, sagt für sich gesehen noch relativ wenig aus. Weder ist dadurch gesagt, dass sich in jedem Fall auf eine „Force Majeure“-Klausel berufen werden kann, noch, dass gesetzliche Schadensersatzansprüche mangels Verschuldens grundsätzlich abzulehnen sind oder keine Erfüllungsansprüche mehr bestehen.

Wie in aller Regel ist eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. Es muss genau geprüft werden, ob es eine einschlägige „Force Majeure“-Klausel gibt und diese ggf. einer AGB-Prüfung standhält, ob das Leistungshindernis tatsächlich in der Coronavirus-Pandemie begründet ist und ob es möglicherweise abwendbar ist.

Anhand der Gegebenheiten des Einzelfalls ist dann zu überprüfen, ob die „höhere Gewalt Coronavirus-Pandemie“ auch im konkreten gerade das Leistungshindernis darstellt.

Die Coronavirus-Pandemie selbst muss das Leistungshindernis sein

Sagt beispielsweise ein Veranstalter eine Veranstaltung ab, weil ihm aufgrund der Coronavirus-Pandemie ein gewisser finanzieller Mehraufwand droht, kann er sich – abhängig vom jeweiligen Einzelfall – wohl nicht auf höhere Gewalt oder ein fehlendes Vertretenmüssen berufen. Es dürfte ihm dann zumutbar sein, die notwenigen Abwendungsmaßnahmen zu treffen. Er dürfte sich durch eine eigenverantwortliche Absage schadensersatzpflichtig machen.

Muss derselbe Veranstalter die Veranstaltung absagen, weil ihm die Durchführung amtlich untersagt wurde oder weil die Auflagen derart streng sind, dass sie nur noch mit unverhältnismäßig hohem Aufwand bewältigt werden können, liegt die Annahme fehlenden Verschuldens wegen höherer Gewalt dagegen eher nahe. Eine Erfüllungsverpflichtung kann dann ausgeschlossen sein.

Selbiges gilt für Lieferanten, die den vereinbarten Lieferzeitraum durch finanzielle Mehraufwendungen und Ersatzbeschaffungen einhalten könnten. In der Regel – jedoch abhängig vom konkreten Einzelfall – dürften sie sich nicht auf ein Leistungshindernis berufen können. Ist die Lieferung jedoch beispielsweise wegen Fabrikschließungen tatsächlich nicht möglich, kann sich auf die Coronavirus-Pandemie als Leistungsbefreiungsgrund berufen werden.

Wird eine Veranstaltung aus den oben genannten Gründen abgesagt, stehen die Chancen gut, dass Teilnehmer die Kosten für Eintrittskarten erstattet bekommen. Schließlich fällt bei einer (vollständigen) Absage regelmäßig für beide Seiten die Erfüllungsverpflichtung weg. Auch bei einer Verlegung dürfte, sofern vertraglich nichts Abweichendes vereinbart wurde, ein Rückzahlungsanspruch bestehen. Ob etwaige Mehraufwendungen wie etwa Hotelkosten vom Veranstalter ersetzt werden müssen, dürfte davon abhängen, ob dieser den Ausfall nach den zuvor genannten Kriterien zu vertreten hat.

Staatliche Anordnungen

Zu beachten ist, dass etwaige behördliche Anordnungen in jedem Fall zu befolgen sind.

In Deutschland ist beispielsweise für Anordnungen von Quarantäne, die Beschränkung oder sogar Absage von Veranstaltungen und sonstigen Ansammlungen gemäß § 28 Infektionsschutzgesetz das örtliche Gesundheitsamt zuständig.

Zuletzt hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Exportstopp für Atemschutzmasken und Schutzkleidung erlassen. Die Befugnis dazu folgt aus § 6 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes. Diese Anordnung in Form eines Verwaltungsakts hat unmittelbare Bindungswirkung. Eine Anfechtungsklage hat nach § 14 Außenwirtschaftsgesetz keine aufschiebende Wirkung.

Ansprüche gegen den Staat sind nur im Ausnahmefall denkbar

Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen der Anordnung solcher Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten dürften bei einem rechtmäßigen Handeln wohl nicht in Betracht kommen. Lediglich wenn die Maßnahmen einer Behörde rechtswidrig sind, kann ein Ersatzanspruch nach den Grundsätzen der Amtshaftung in Betracht kommen.

 

Sollten Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme bestehen, ist rasches Handeln erforderlich. Denn die Rechtswidrigkeit des hoheitlichen Handelns muss, sofern statthaft, innerhalb der Frist für Widerspruch oder Anfechtungsklage im Verwaltungsrechtsweg angefochten werden.

Fazit

Abschließend lässt sich also festhalten: Ja, die Coronavirus-Pandemie ist ein Fall höherer Gewalt. Welche Auswirkungen das auf Leistungspflichten oder Ersatzansprüche hat, lässt sich jedoch nicht pauschal beantworten und muss für jeden Einzelfall individuell geprüft werden. Ist die Coronavirus-Pandemie selbst das Leistungshindernis und lässt sich dieses nicht durch angemessenen Mehraufwand beseitigen, stehen die Chancen gut, aufgrund höherer Gewalt von der Leistungspflicht befreit zu sein. Besteht jedoch die Möglichkeit, das Leistungshindernis abzuwenden, kann sich dieser Verpflichtung regelmäßig nicht durch die Berufung auf höhere Gewalt entzogen werden. Dann können Ersatzansprüche gegen den Verpflichteten in Betracht kommen.

Dr. Thomas C. Körber                       Thomas Wassenhoven
Fachanwalt für Gewerblichen          Rechtsanwalt
Rechtsschutz, Partner