29.01.2021

ASD|REAL ESTATE NEWS: Die neue Bayerische Bauordnung tritt am 01. Februar 2021 in Kraft – die wichtigsten Änderungen im Überblick

Am 02.12.2020 hat der Bayerische Landtag das Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus (LT-Drs. 18/8547; GVBl 2020, S. 663) beschlossen.

Die Vollzugshinweise hat das Bayerische Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr am 07.01.2021 hier veröffentlicht.

Die Neuregelungen sind ab dem 01. Februar 2021 auch auf laufende Genehmigungsverfahren anwendbar, da grundsätzlich die Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den eingereichten Antrag maßgeblich ist.

Das bedeutet, dass auch Bauanträge, die bereits eingereicht worden sind nach neuem Recht beschieden werden. Lediglich die Genehmigungsfiktion gilt erst für ab dem 01. Mai eingereichte Bauanträge.

I. Abstandsflächen – Art. 6

Ein Hauptpunkt der Novelle ist das Abstandsflächenrecht.

1. Abstandsflächentiefe

Die Tiefe der Abstandsflächen wird von 1 H auf 0,4 H, in Gewerbe- und Industriegebieten von 0,25 H auf 0,2 H reduziert (Art. 6 Abs. 5). Die Mindesttiefe von 3 m bleibt unverändert, das 16-Meter-Privileg entfällt. Ausgenommen von diesen Änderungen sind Gemeinden mit mehr als 250.000 Einwohnern, derzeit also die Städte München, Augsburg und Nürnberg (Art. 6 Abs. 5a). Hier bleibt es außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten sowie festgesetzten urbanen Gebieten bei der Tiefe von 1 H und dem 16-Meter-Privileg.

Diese Regelung ist schon im Vorfeld stark kritisiert worden, da ausgerechnet in den Städten mit dem größten Baudruck die Verdichtungsmöglichkeiten beschnitten werden. Die Regelung dürfte auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zulässig sein. Gemeinden erhalten die Möglichkeit, über Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 die Abstandsflächentiefe abweichend von diesen Regelungen weitgehend individuell für einen Stadtteil oder für das ganze Gemeindegebiet festzulegen.

Diese Regelung knüpft an die sog. Experimentierklausel aus der alten BayBO an, über die die Stadt Nürnberg bereits im Jahr 2016 eine Abstandsflächentiefe von 0,5 H für weite Teile des Stadtgebiets festgelegt hat. Umgekehrt ist auch für Gemeinden mit unter 250.000 Einwohnern eine Rückkehr zum alten Recht, also insbesondere eine Erhöhung auf bis zu 1 H möglich, aber voraussichtlich mit nicht unerheblichem Begründungsaufwand verbunden.

Dies bedarf einer näheren Prüfung im Einzelfall. Der Gesetzgeber hat die Satzungsermächtigung jedenfalls bereits am 15.01.2021, zwei Wochen vor den anderen Bestimmungen, in Kraft treten lassen, um den Kommunen die Begründung zu vereinfachen.

Zu beachten ist, dass durch gemeindliches Satzungsrecht nur ein abweichendes Maß der Abstandsflächentiefe angeordnet werden kann, nicht aber abweichende Berechnungsregelungen. Nach den oben genannten Vollzughinweisen sei das 16-Meter-Privileg allerdings als eine Regelung über das Maß der Tiefe der Abstandsfläche anzusehen, so dass eine Rückkehr zum 16-Meter-Privileg möglich zu sein scheint. In jedem Fall ist eine sorgfältige Begründung der jeweiligen Regelung zu erforderlich.

2. Abweichende Regelungen in Bebauungsplänen

Abweichende Regelungen in Bebauungsplänen sind nach Art 6 Abs. 5 Satz 2 weiterhin vorrangig. Allerdings wirft die sprachliche Neufassung der Regelung einige Fragen auf, insbesondere scheint nunmehr eine Festsetzung etwa von Baugrenzen und Wandhöhen unter entsprechender Abwägung der Abstandsflächentiefe nicht mehr ausreichend.

3. Pavillonabstand entfällt

Die auch als sog. Pavillonabstand bekannte Regelung in Art. 6 Abs. 5 Satz 4 (alt) entfällt ersatzlos.

4. Anrechnung von Dachflächen

Die Anrechnung von Dachflächen ändert sich nach dem neuen Art. 6 Abs. 4 Satz 3 wie folgt: Auf der Traufseite von Gebäuden ist die Höhe des Daches bei einer Neigung bis zu einschließlich 70° zu 1/3, bei einer Neigung von mehr als 70° voll hinzuzurechnen. Die Regelung zu Giebelflächen entfällt vollständig. Die Giebelwand ist als normale Wand vollständig zu berücksichtigen, deren Abstandsfläche daher in der Regel dreieckig ausfallen wird. Diese auf den ersten Blick ungünstigere Berechnungsweise wird durch die Reduzierung auf 0,4 H zwar weitgehend kompensiert. Bei einer Erhöhung der Abstandsflächentiefe durch Satzung kann damit aber abhängig von der jeweiligen Dachform auch eine Verschlechterung im Vergleich zur vorherigen Rechtslage verbunden sein. In Gemeinden mit mehr als 250.000 Einwohnern bleibt es nach Art. 6 Abs. 5a Satz 3 und 4 bei den alten Regelungen.

5. Dachgauben

Weiterhin gibt es in Art. 6 Abs. 6 Nr. 3 und Nr. 4 Änderungen bei den vor die Außenwand vortretenden Bauteilen, die nicht abstandsflächenrelevant sind (Seitenwände von Vorbauten und Dachaufbauten bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze; Wärmedämmung). So sind etwa Dachgauben nach der Neuregelung künftig abstandsflächenrelevant, bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze aber nicht die Seitenwände der Dachgauben.

6. Garagen und sonstige Nebengebäude

Außerdem wir die Privilegierung von Garagen und sonstigen Nebengebäuden, die in den Abstandsflächen von Gebäuden und ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind, in Art. 6 Abs. 7 Nr. 1 leicht modifiziert (Wegfall der Privilegierung für längere Gebäude an Grundstücksgrenzen von mehr als 42 m und Berücksichtigung der Höhe von Dächern gestaffelt ab einer Neigung von 45 Grad bei der maßgeblichen Wandhöhe).

7. Abweichungen von den Abstandsflächen

In die Regelungen über Abweichungen wird ein Fall intendierten Ermessens aufgenommen (Art. 63 Abs. 1 Satz 2) , um alte Gebäude, die rechtmäßig errichtet wurden, aber die aktuell geltenden Abstandsflächen nicht einhalten, durch Neubauten ersetzen können. Abweichungen von den Abstandsflächen sollen nach der Regelung zugelassen werden, wenn ein rechtmäßig errichtetes Wohngebäude durch ein Gebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird. Damit können insbesondere Flächen in alten Ortskernen für den Wohnungsbau wiedernutzbar gemacht werden.

II. Genehmigungsfiktion – Art. 68 Abs. 2

Eine wesentliche Neuerung bringt auch die Genehmigungsfiktion: Ein Bauantrag gilt in der Regel nach drei Monaten als genehmigt, wenn die Bauaufsichtsbehörde bis dahin nicht über den Antrag entschieden oder die Frist verlängert hat.

1. Voraussetzungen

Ziel ist die Beschleunigung von Bauvorhaben im Bereich des Wohnungsbaus. Daher gilt die Regelung nur für die Errichtung oder Änderung von Gebäuden, die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienen sowie Nutzungsänderungen, die Wohnraum schaffen sollen. Voraussetzung ist auch, dass über den Bauantrag im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 zu entscheiden ist, Sonderbauten sind also ausgenommen.

2. Beginn der 3-Monatsfrist

Die 3-monatige Entscheidungsfrist beginnt entweder drei Wochen nach Zugang des Bauantrags bei der Bauaufsichtsbehörde oder für den Fall, dass die Bauaufsichtsbehörde die Vervollständigung der Unterlagen mit Fristsetzung verlangt (Art. 65 Abs. 2), drei Wochen nach Zugang der nachgeforderten Unterlagen. Wenn die Gemeinde, in der das Vorhaben ausgeführt werden soll, nicht selbst untere Bauaufsichtsbehörde ist, ist der Zugang bei der Bauaufsichtsbehörde nach Einvernehmensentscheidung bzw. Einvernehmensfiktion der Gemeinde maßgeblich.

3. Verlängerung

Die Entscheidungsfrist kann einmal angemessen verlängert werden, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Angelegenheit gerechtfertigt ist (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 42a Abs. 2 Satz 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz). Die Verlängerung ist entsprechend zu begründen und rechtzeitig mitzuteilen. Die Verlängerung muss also mit einer tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit des Falles begründet werden. Dies lässt f zwar keinen Raum, eine hohe Arbeitsbelastung der Behörde als Verlängerungsgrund anzuführen, allerdings kann die Verzögerung auf ausstehende fachliche Beurteilungen etwa zum Natur- oder Artenschutz gestützt werden. Letzteres stellt in der Praxis häufig einen Grund für lange Genehmigungsverfahren dar.  Der Antragsteller kann vor Ablauf der Entscheidungsfrist gegenüber der Baugenehmigungsbehörde in Textform auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion verzichten.

4. Bescheinigung

Ist die Fiktion eingetreten, darf mit dem Bau begonnen werden, sobald dem Bauherrn der Eintritt der Genehmigungsfiktion schriftlich bescheinigt und die Bescheinigung zugestellt wurde (Art. 68 Abs. 2 Satz 1). Genehmigt ist das Vorhaben aber auch ohne Ausstellung der Bescheinigung.

5. Übergangsregelung

Als Übergangsregelung ist vorgesehen, dass die Vorschriften zur Genehmigungsfiktion erst für Bauanträge gelten, die drei Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingereicht werden, also ab dem 01.05.2021.

III. Sonstiges

1. Genehmigungsfreistellungsverfahren – 58 Abs. 2

Die Änderung und Nutzungsänderung von Dachgeschossen zu Wohnzwecken einschließlich der Errichtung von Dachgauben wird im unbeplanten Innenbereich genehmigungsfrei gestellt.

2. Wohnungen – Art. 46 Abs. 5

Eine Erleichterung findet sich auch bei der Umwandlung von Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen in bestandsgeschützten Gebäuden in Wohnraum. Hier sind auf die bestehenden Bauteile die Abstandsflächenregelungen sowie die brandschutzrechtlichen Regelungen in Art. 25, 26, 28, 29 und 30 nicht anzuwenden.

3. Aufzüge – Art. 37 Abs. 4 Satz 5

Bei Aufstockung kann auf einen Aufzug, der bislang ab einer bestimmten Gebäudehöhe zwingend erforderlich war, bei der Schaffung von Wohnraum verzichtet werden, wenn der Aufzug bzw. die Anforderungen nach Art. 37 Abs. 4 Satz 2-4 nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hergestellt werden können.

4. Spielplatznachweis – Art. 7 Abs. 3, 81 Abs. 1 Nr. 3

Für Gebäude mit mehr als drei Wohnungen besteht weiterhin die Pflicht, einen ausreichend großen Spielplatz nachzuweisen. Dies ist nun aber – entsprechend dem Stellplatznachweis – auch wieder durch Ablösevertrag möglich. Die Gemeinden erhalten das Recht, per Satzung sowohl die Ablöse näher auszugestalten, als auch die Art der Erfüllung zu regeln, also auch einzelne Möglichkeiten auszuschließen oder verbindlich vorzuschreiben.

5. Stellplatzsatzung – Art. 81 Abs. 1 Nr. 4

Kommunen können zukünftig beim Erlass von Stellplatzsatzungen auch die örtliche Verkehrsinfrastruktur berücksichtigen. Damit entsteht mehr Spielraum bei der Festlegung der Anzahl der Stellplätze mit Blick auf die Anbindung durch den öffentlichen Personennahverkehr.

6. Typengenehmigung – Art. 73 a

Mit der Einführung der Typengenehmigung wird die serielle Bauweise gestärkt. Die Typengenehmigung kann die Wirkung eines bautechnischen Nachweises haben, ersetzt aber nicht die Pflicht ein Baugenehmigungsverfahren wegen den planungsrechtlichen Anforderungen durchzuführen, soweit das im Einzelfall erforderlich ist.

7. Nachbarbeteiligung – Art. 66 Abs. 1

Die Nachbarbeteiligung wird vollständig in die Hände des Bauherrn gelegt. Zukünftig ist im Bauantrag anzugeben, ob zugestimmt wurde, eine Benachrichtigung durch die Gemeinde ist nicht mehr vorgesehen. Die Zustellung an den Nachbarn bei fehlender Zustimmung bleibt jedoch erhalten.

8. Holzbaurichtlinie

Holz kann nach der Novelle in allen Gebäudeklassen als Baustoff eingesetzt werden. Das Bauen mit Holz wird unter verschiedenen Gesichtspunkten erleichtert. Holz ist etwa auch als Außenwandbekleidung einsetzbar. Hierzu wird eine neue Holzbaurichtlinie als technische Baubestimmung eingeführt.

IV. Fazit

Die neuen Abstandsflächenregelungen bringen außerhalb der Großstädte Erleichterungen bei der Nachverdichtung. Die Gestaltungsmöglichkeiten für Kommunen führen aber voraussichtlich zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen über die Abstandsflächentiefe und verkomplizieren die Situation für die Planung.

Die Neuregelung ist daher aus unserer Sicht aufgrund der verschiedenen Öffnungsklauseln misslungen. Insbesondere die Sonderregelung für die Großstädte dürfte einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstellen. Die Erwartungen an die Genehmigungsfiktion als Beschleunigungsinstrument sind groß, die Regelung muss sich aber in der Praxis als tauglich beweisen. Denn mit rechtswidrigen Baugenehmigungen, die später nach Art. 48 BayVwVfG aufgehoben werden, ist den Bauherren nicht gedient.

Es empfiehlt sich daher, die Einhaltung der bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Anforderungen auch selbst zu prüfen und sich nicht vollständig auf die Bestandskraft der fiktiven Genehmigung zu verlassen. Auch darf die Regelung nicht dazu führen, dass Bauanträge vermehrt wegen formeller oder inhaltlicher Mängel zurückgewiesen werden, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern.

Die Genehmigungsfreiheit des Dachgeschossausbaus sowie die Neuregelungen zu Nutzungsänderungen, Aus- und Ersatzbauten und Aufstockungen bei Wohnungsbauvorhaben sind als Erleichterungen zu begrüßen und machen die sinnvolle Nutzung innerstädtischer Flächen wirtschaftlicher.

Nicht zuletzt bringt die BayBO-Novelle auch einige umwelt- und klimarelevante Änderungen (Stichworte: Solar-Dachanlagen, Begrünung, Ladestationen für Elektrofahrzeuge), die zu begrüßen sind.

Wir unterstützen Sie gerne bei der Umsetzung Ihres Vorhabens unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage. 

Ihr Öffentliches Baurechts-Team aus München

Dr. Daniel PflügerDr. Wolfgang PatzeltUlrich LoetzThomas HartlDr. Anne Dankowski und Monika Bandel