Das BAG hat die Kündigung eines Flugzeugkapitäns der insolventen Fluglinie Air Berlin wegen unzureichender Massenentlassungsanzeige für unwirksam erklärt. Die Ausführungen sind für die Seeschifffahrt von erheblicher Bedeutung.

Sachverhalt

Im August 2017 beantragte die Fluggesellschaft „Air Berlin“ die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bei der Airline gab es eine tarifvertraglich ausgestaltete Betriebsstruktur gemäß § 117 BetrVG. Das Unternehmen war unterteilt in die Bereiche Boden, Cockpit und Kabine. Für den Flugbetrieb hatte Air Berlin zudem an den Hauptflughäfen sog. Stationen (Heimatbasis) eingerichtet, u.a. in Düsseldorf.

Im Zuge des Insolvenzverfahrens erkundigte sich der vorläufige Sachwalter bei der Arbeitsagentur Berlin-Nord nach der für die Massenentlassungsanzeige örtlich zuständigen Arbeitsagentur. Die Arbeitsagentur gab an, dass die Bereiche Boden‑, Cockpit- und Kabinenpersonal als drei Betriebe anzusehen sein könnten. Für das Cockpitpersonal sei von einem Betrieb mit Sitz in Berlin auszugehen.

Nach Durchführung des Konsultationsverfahrens mit der Personalvertretung Cockpit erstattete die insolvente Fluggesellschaft mit Schreiben vom 24.11.2017 bei der Arbeitsagentur Berlin Nord eine Massenentlassungsanzeige für alle Mitarbeiter im Bereich Cockpit. Im Anschluss kündigte sie mit Schreiben vom 28.11.2017 dem Kläger, einem Flugkapitän am Einsatzort Düsseldorf. Seine Kündigungsschutzklage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.

Entscheidung des Gerichtes

Der sechste Senat des BAG gab der Kündigungsschutzklage statt. Die Massenentlassungsanzeige der Fluggesellschaft war fehlerhaft, weil sie gegenüber der örtlich unzuständigen Arbeitsagentur erteilt wurde. Zudem wies sie inhaltliche Mängel auf. Die ausgesprochene Kündigung war somit unwirksam.

Die Massenentlassungsanzeige wurde gegenüber der unzutreffenden Behörde abgegeben. Örtlich zuständig war nicht die Arbeitsagentur Berlin Nord, sondern die Arbeitsagentur in Düsseldorf. Zuständig war diejenige Agentur, in deren Bezirk der für den Kläger maßgebliche „Betrieb“ von Air Berlin lag. Der Betriebsbegriff des § 17 KSchG ist dabei europarechtlich einheitlich auszulegen. Auf die Festlegungen des BetrVG, insbesondere die tarifliche Regelung der Betriebsstruktur nach § 117 BetrVG, kommt es nicht an. Der Begriff des „Betriebes“ in § 17 KSchG ist weit auszulegen und umfasst kleinere Einheiten als der herkömmliche Betriebsbegriff nach deutschem Recht. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Vielmehr wog das BAG alle Umstände des Einzelfalls im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGHs wertend ab.

Die Massenentlassungsanzeige litt auch an inhaltlichen Mängeln, da sie sich nur auf die Berufsgruppe Cockpit bezog. Die Fluggesellschaft hätte bei Erstattung der Massenentlassungsanzeige sämtliche Berufsgruppen, also auch Boden und Kabine, die dem Standort Düsseldorf zuzurechnen waren, zwingend angeben müssen (Muss-Regelung). Das war nicht geschehen.

Bedeutung für die Seeschifffahrt

Die Entscheidung ist für die Seeschifffahrt von großer Bedeutung. § 17 KSchG gilt seit dem 10. Oktober 2017 auch für Massenentlassungen von Seeleuten.

Betriebsverfassungsrechtlich wird in der Seeschifffahrt zwischen dem Landbetrieb und dem Seebetrieb unterschieden (§ 114 BetrVG). Der Seebetrieb setzt sich zusammen aus der Gesamtheit der Seeschiffe eines Seeschifffahrtsunternehmens. Teil des Seebetriebs sind nur die Schiffe, die unter Bundesflagge fahren. Nur für die deutsch geflaggten Schiffe kann es einen Seebetriebsrat geben (§ 116 BetrVG). Für Schiffe unter ausländischer Flagge fehlt dem Seebetriebsrat von vornherein jegliche gesetzliche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsbefugnis.

Kündigungsschutzrechtlich hat sich die Rechtsprechung der strikten Trennung von Land- und Seebetrieb im Grundsatz angeschlossen (BAG Urt. v. 28.2.1991 – 2 AZR 517/90). Die Seeleute sind dem Seebetrieb zugeordnet.

Die §§ 17 ff. KSchG gelten dabei ggf. auch bei der Vereinbarung oder Geltung ausländischen Seearbeitsrechts. Denn sie werden von deutschen Gerichten als sog. „Eingriffsnormen“ angesehen (vgl. BAG Urt. v. 24.08.1989 — 2 AZR 3/89). Sie gelten für Seeleute ungeachtet des für das Heuerverhältnis vereinbarten Rechts.

Kommentar

Nach der Entscheidung des BAG muss die Praxis damit leben, dass der nationale Betriebsbegriff für Massenentlassungen von Seeleuten nach § 17 KSchG nicht maßgeblich ist. Es ist ein eigenständiger, losgelöster Betriebsbegriff zugrunde zu legen. Von diesem hängt nicht nur die Frage ab, welche Arbeitsagentur für die Entgegennahme der Massenentlassungsanzeige örtlich zuständig ist. Die Größe des „Betriebes“ entscheidet auch über die Vorfrage, ob die Schwellenwerte an beschäftigten und an entlassenen Seeleuten überschritten werden, die eine Massenentlassungsanzeige überhaupt erst erforderlich machen.

Sind in der Seeschifffahrt künftig Land- und Seebetrieb für Massenentlassungen nicht mehr strikt zu trennen? Das ist unwahrscheinlich. Das BAG verstand den Begriff des „Flugbetriebes“ in § 117 BetrVG stets rein personenbezogen („fliegendes Personal“) und damit abweichend von demjenigen des Seebetriebes, der an das Schiff anknüpft (BAG Urt. v. 21.1.2020 – 1 AZR 149/19). Eine „Heimatbasis“ für Seeleute gibt es nicht. Anders als für den Flugbetrieb sieht Art. 3 der Massenentlassungsrichtlinie europarechtlich vor, dass für die Entlassungen von Seeleuten auf Schiffen unter EU-Flagge die jeweils zuständige Behörde des Flaggenstaates zu unterrichten ist, und nicht diejenige für den Sitz der Reederei.

Überträgt man den weiten Betriebsbegriff des § 17 KSchG auf die Seeschifffahrt, ist es vertretbar, dass das Schiff allein der jeweils maßgebliche Betrieb ist. Es kommt dann nicht mehr auf die gesamte Flotte eines Seeschifffahrtsunternehmens an.

Klarer ist die Rechtslage, wenn die Einschiffsgesellschaft zugleich der Arbeitgeber ist. Dann kann es in der Regel nur einen einzigen Betrieb des Arbeitgebers geben, nämlich das Schiff, auf die Seeleute eingesetzt werden.

Praxis-Tipp

Es ist vor der geplanten Entlassung von mehr als fünf Seeleuten innerhalb von 30 Kalendertagen sorgfältig zu prüfen, ob eine anzeigepflichtige Massenentlassung vorliegt. Die allgemeinen Grundlagen für Massenentlassungen von Seeleuten erlauben eine erste Einordnung.

Die konkreten Ausführungen des BAG zur Bestimmung der örtlichen zuständigen Arbeitsagentur sind für die Praxis der Seeschifffahrt wenig nutzbar. Eine Station oder „Heimatbasis“ gibt es bei Seeleuten nicht. Die Seeleute wohnen in der Regel auch nicht am Sitz der Reederei. Sie wohnen – jedenfalls in der internationalen Seeschifffahrt – selten überwiegend in dem Mitgliedstaat, in der die Reederei ihren Sitz hat. Die Auswirkungen einer Massenentlassung von Seeleuten machen sich daher nicht am Sitz der Reederei, sondern in deren Heimatländern bemerkbar.

Praxis-Tipp

Eine vorherige Anfrage bei der Arbeitsagentur bringt keine Rechtssicherheit. Das verdeutlicht die Entscheidung des BAG nur zu gut. Im Zweifel sollten mehrere Massenentlassungsanzeigen oder eine Sammelanzeige erwogen werden. Andernfalls droht eine Unwirksamkeit aller ausgesprochenen Kündigungen.

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