Am 23. Juni 2022 hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Arbeitsbedingungenrichtlinie verabschiedet. Bis zum Inkrafttreten voraussichtlich am 1. August 2022 wird eine Überprüfung und Anpassung der Heuervertragsmuster erforderlich werden. Der Beitrag gibt einen Überblick über den Änderungsbedarf.

  • Die neue EU-Richtlinie 1152/2019 vom 6. Oktober 2015 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union (sog. EU- Arbeitsbedingungenrichtlinie) ersetzt die bisherige europäische Nachweisrichtlinie 91/533/EWG.
  • Die gesetzlichen Regelungen zum notwendigen Inhalt des Heuervertrags und des Ausbildungsvertrages werden zum 1. August 2022 geändert.
  • Neu hinzugekommen ist eine für die Praxis wenig bedeutsame Regelung über sog. Pflichtfortbildungen.

Es ergeben sich die folgenden FAQ:

Gilt die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie für Seeleute?

Ja. Die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie gilt mit Einschränkungen für Seeleute und Seefischer, die in der Union tätig sind.

Eine Tätigkeit in der Union wird laut Erwägungsgrund (10) der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie fingiert, wenn die Seeleute auf einem Schiff tätig sind, das (i) unter einer EU-Flagge fährt oder (ii) das in einem Schiffsregister der EU eingetragen ist.

Für Schiffe, die unter der Flagge eines anderen EU-Mitgliedstaates fahren, richtet sich der konkrete Änderungsbedarf nach dem jeweiligen nationalen Seearbeitsrecht zur Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie.

Praxishinweis

Ob Reedereien von der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie betroffen sind, die Seeleute ausschließlich auf Schiffen beschäftigen, die in das deutsche Seeschiffsregister eingetragen sind und im Rahmen der Bareboat-Ausflaggung gemäß § 7 FlaggRG unter der Flagge eines Drittstaates fahren, richtet sich allein nach den anwendbaren Regeln des internationalen Privatrechts. Ist deutsches Recht im Heuervertrag vereinbart, sollte der Heuervertrag den Anforderungen des § 28 SeeArbG bzw § 2 NachwG genügen.

Welche Änderungen sind im Heuervertrag vorzunehmen?

Nicht alle neuen gesetzlichen Regelungen im Zuge der Umsetzung der EU- Arbeitsbedingungenrichtlinie erfordern eine Anpassung des Heuervertrages.

Folgende Inhalte bedürfen oder bedürfen nicht der Überprüfung und ggf. der Anpassung:

Befristung (Nr. 5)

Kein Änderungsbedarf. Das Enddatum muss für eine wirksame Befristung des Heuervertrages nicht zwingend angegeben werden. Es genügt die Dauer.

Probezeit (Nr. 6)

Kein Änderungsbedarf. Die Probezeit wird in der Regel bereits im Heuervertrag vereinbart oder nicht.

Heuer (Nr. 7)

Änderungsbedarf, wenn etwa nur die Gesamtheuer ohne erkennbare Angaben zu den einzelnen Heuerbestandteilen in den Heuervertrag aufgenommen wurde. Eine Verweisung auf den HTV See, der die Zusammensetzung des Heueranspruchs wiedergibt, genügt, nicht aber eine Verweisung auf § 37 SeeArbG. Für die Art der Auszahlung reicht eine Verweisung auf § 39 SeeArbG.

Überstunden (Nr. 8)

Änderungsbedarf, wenn nicht bereits (i) auf § 47 SeeArbG oder (ii) den etwa den MTV See verwiesen wird oder (iii) eine Klausel enthalten ist, dass der Reeder berechtigt ist, Überstunden anzuordnen.

Ruhepausen, Wachsystem (Nr. 9)

Änderungsbedarf, wenn nicht bereits auf die §§ 43, 45, 46 SeeArbG verwiesen wird oder eine entsprechende Klausel enthalten ist. Der MTV-See informiert zudem nicht über Ruhepausen. Bei Zwei-Wachen-Schiffen empfiehlt sich ein kurzer klarstellender Hinweis.

Kündigungsrecht (Nr. 11)

Änderungsbedarf. Zumindest die Fristen zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (nicht: Kündigungsfristen) sind in der Regel nicht ausdrücklich im Heuervertrag enthalten. Ein Verweis auf die §§ 4, 24 KSchG genügt.

Fortbildung (Nr. 15)

Änderungsbedarf, wenn der Reeder den Seeleuten eine konkrete Fortbildung oder deren Kostenübernahme versprochen hat. Eine Pflichtfortbildung wäre ebenfalls anzugeben, ist aber derzeit – jedenfalls bei engem Verständnis des Begriffs – noch nicht ersichtlich. Die Praxis der BG Verkehr bleibt abzuwarten.

Bis wann müssen die Änderungen erfolgen?

Sämtliche Heuerverhältnisse, die ab dem1. August 2022 beginnen, müssen die neuen Anforderungen einhalten. Tritt die Gesetzesänderung später in Kraft, gelten die Regelungen ab dem Tag nach der Verkündung des Gesetzes.

Gilt das auch für Auszubildende an Bord?

Ja. Die relevante Vorschrift des § 82 SeeArbG wird ebenfalls mit Wirkung zum 1. August 2022 geändert.

Gilt das auch für die bestehenden Heuerverhältnisse von Seeleuten?

Nein. Der Reeder ist – nur bei entsprechendem Verlangen der Seeleute – ggf. verpflichtet, über fehlende Informationen zu unterrichten, wenn das Heuerverhältnis vor dem Stichtag bereits bestanden hat. Gleiches gilt für das Ausbildungsverhältnis.

Nicht geregelt hat der Gesetzgeber den Fall, dass der Heuervertrag im Einklang mit dem bisherigen SeeArbG geschlossen wurde, aber das Heuerverhältnis erst ab dem 1. August 2022 beginnt. Auch hier wird der Reeder nur auf Verlangen der Seeleute informieren müssen. Eine Änderung oder Ergänzung des Heuervertrages, welcher der Seemann zustimmen müsste, ist nicht erforderlich.

Wie wird die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie in der BRD zum Schutz der Seeleute durchgesetzt?

Zuständig ist die BG Verkehr, die Eingriffsbefugnisse im Rahmen der Flaggenstaatskontrolle hat. Sie kann die Einhaltung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie im Wege des Verwaltungsvollzugs durchsetzen.

Andere Sanktionen gibt es nicht. Die Ordnungswidrigkeiten bei Verstößen in Bezug auf Landarbeitsverhältnisse (§ 4 NachwG) sind nicht einschlägig.

Praxishinweis

Einen Verwaltungsvollzug sieht das NachwG nicht vor. In Anbetracht der geringen Höhe der Geldbußen bei Landarbeitsverhältnissen ist die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Flaggenstaatsbehörde kritisch zu hinterfragen. Eine Festhalteverfügung zur Durchsetzung der EU- Arbeitsbedingungenrichtlinie ist ausgeschlossen.

Kann die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie im Rahmen der Hafenstaatskontrolle überprüft werden?

Nein. Die Hafenstaatkontrolle erstreckt sich allein auf Verstöße gegen Normen der Maritime Labour Convention (MLC). Die Neuerungen durch die EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie sind nicht Teil der MLC.

Was gilt für das Personal im Reedereibetrieb an Land?

Auch hier bedarf es aufgrund der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie der Anpassung der Arbeitsverträge für die Zukunft. Für bestehende Arbeitsverhältnisse bleibt es bei einem Informationsanspruch der Beschäftigten.

Anders als bei den Seeleuten drohen bei vorsätzlichen Verstößen Geldbußen bis zu EUR 2.000,00 für jeden Einzelfall. Zuständig sind die nach Landesrecht zuständigen Fachbehörden.

Praxishinweis

Die Länder haben sich im Gesetzgebungsverfahren bislang erfolglos bemüht, die Aufgabe der Zollverwaltung des Bundes zu übertragen. In Anbetracht der knappen verbleibenden Zeit bis zum Inkrafttreten ist eine unmittelbare scharfe Durchsetzung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie nicht zu befürchten.

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