Der Bundestag hat am 27. März 2020 ein Gesetz beschlossen, welches für Versicherer die Folge hat, dass er unter gewissen Umständen trotz Nichtzahlung der Versicherungsprämie temporär weder die Versicherung kündigen noch dem Versicherungsnehmer seine Leistung, die Deckung, verweigern darf.

Durch das Corona-Folgenabmilderungs-Gesetz für Verbraucher und Kleinstunternehmen (Unternehmen mit bis zu 9 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu EUR 2 Mio.) wird ein temporäres Leistungsverweigerungsrecht im Rahmen von wesentlichen Dauerschuldverhältnissen gewährt.

Als wesentlich gelten für Verbraucher Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Für Kleinstunternehmer werden unter wesentliche Dauerschuldverhältnisse solche definiert, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind. Zu den Dauerschuldverhältnissen gehören auch Versicherungsverträge.

Rechtsfolgen nach der bisherigen Rechtslage

Der Versicherungsnehmer verpflichtet sich mit Abschluss des Versicherungsvertrages zur regelmäßigen Zahlung der Prämie. Bei den Folgen bei Nichtzahlung ist zu unterscheiden zwischen Nichtzahlung einer einmaligen oder der ersten Prämie und Nichtzahlung von Folgeprämien.

Wird die einmalige oder die erste Prämie nicht rechtzeitig gezahlt, ist der Versicherer grundsätzlich zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Ist die einmalige oder die erste Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalles nicht gezahlt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet (§ 37 VVG). Wird eine Folgeprämie nicht rechtzeitig gezahlt, genießt der Versicherungsnehmer einen erhöhten Schutz. Der Versicherer kann dem Versicherungsnehmer durch eine sog. qualifizierte Mahnung (die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 VVG erfüllende) eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen setzen.

Nach Ablauf der zwei Wochen und Nichtzahlung der Folgeprämie ist der Versicherungsnehmer im Verzug und der Versicherer kann den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Vor allem aber ist der Versicherer nicht mehr zur Leistung verpflichtet (§ 38 VVG).

Leistungsverweigerungsrecht aufgrund von COVID-19

Für vor dem 8. März 2020 geschlossene wesentliche Versicherungsverträge fügt das Corona-Folgenabmilderungs-Gesetz einen neuen Art. 240 § 1 EGBGB ein, wonach Verbrauchern und Kleinstunternehmen zeitlich ein bis zunächst 30. Juni 2020 befristetes Leistungsverweigerungsrecht zusteht, sie faktisch also einen Zahlungsaufschub erlangen können. Die Bundesregierung kann die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts bis längstens 30. September 2020 verlängern. Die Regelung tritt am 1. April 2020 in Kraft.

Für den Versicherer bedeutet dies konkret, dass ein Versicherungsnehmer trotz Nichtzahlung der Prämie unter den im Gesetz aufgeführten Umständen nicht wie sonst in Verzug gesetzt werden kann. Damit fällt vorübergehend auch der Rücktritt (bei einmaliger oder erster Prämienzahlungen) bzw. die Kündigung (bei Folgeprämien) als Rechtsmittel für den Versicherer weg. Ohne Verzug fallen für diese Zeit keine Verzugszinsen oder Rechtsverfolgungskosten etwa für Rechtsanwälte oder Inkassounternehmen an. Vor allem aber bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet.

Voraussetungen für das Leistungsverweigerungsrecht

Voraussetzung für das Leistungsverweigerungsrecht des Versicherungsnehmers ist:

Für Verbraucher
  1. dass der Versicherungsvertrag vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde,
  2. dass es sich um einen Versicherungsvertrag handelt, der zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich ist,
  3. dass die Nichtzahlung auf Umständen beruht, die auf COVID-19 zurückzuführen sind und
  4. dass die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht ohne die Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhaltes oder des angemessenen Lebensunterhaltes seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen möglich wäre
Für Kleinstunternehmen
  1. dass der Versicherungsvertrag vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde.
  2. dass es sich um einen Versicherungsvertrag handeln muss, der zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung des Erwerbsbetriebs erforderlich ist,
  3. dass die Nichtzahlung auf Umständen beruht, die auf COVID-19 zurückzuführen sind und
  4. dass die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebes möglich wäre.

Nach dem Gesetz muss der Versicherungsnehmer das neue Leistungsverweigerungsrecht „einredeweise″ geltend machen, d. h. sie müssen sich ausdrücklich hierauf berufen und die oben aufgeführten Voraussetzungen auch belegen. Kommt der Versicherungsnehmer seiner Beweislast für die genannten Voraussetzungen nicht nach, gelten weiterhin die §§ 37 und 38 VVG.

Aus Sicht des Versicherers ist es aus dem letztgenannten Grund ratsam, die nach §§ 37 und 38 VVG erforderliche schriftliche Mitteilung bzw. qualifizierte Mahnung wie üblich zu versenden; denn diese sind unverändert Voraussetzung für die Rechtsbehelfe nach §§ 37 und 38 VVG und für das Recht des Versicherers seine Leistung, die Versicherungsdeckung, zu verweigern.

Aus Art. 240 § 2 Abs. 3 EGBGB ergibt sich, dass der Versicherungsnehmer die Zahlung der Prämie nicht verweigern kann, wenn dies für den Versicherer unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Grundlagen führen würde. Es kann angenommen werden, dass dies regelmäßig nicht erreicht wird.

ILO — International Law Office

Dieser Artikel wurde bereits in englischer Sprache herausgegeben von und zuerst veröffentlicht auf www.internationallawoffice.com.

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