Vor dem Hintergrund der durch das Coronavirus bedingten Sperrungen von Häfen und anderen behördlich veranlasster Maßnahmen stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen, Kosten und Risiken der Charterer seine Reisecharterpartie kündigen kann.

Der folgende Artikel vergleicht die Situation zwischen dem englischem und dem deutschem Recht aus der Sicht des Charterers und fragt insbesondere, was passiert, wenn die Charterpartie keine Force Majeure Klausel enthält.

Deutsches Recht

Auf den ersten Blick scheint dem deutschen Transportrecht (viertes und fünftes Buch des HGB) das Prinzip der höheren Gewalt immanent. Zu denken ist insbesondere an den Haftungsausschluss des Frachtführers (§ 426 HGB) für den Verlust oder die Beschädigung von Gütern oder der Nichteinhaltung von Lieferfristen im Fall der Unabwendbarkeit. Bei der Frage Unabwendbarkeit wird insbesondere geprüft, ob bspw. die Beschädigung der Güter kausal auf ein unvorhersehbares äußeres Ereignis zurückzuführen ist. Insofern läuft der Haftungsausschluss nach § 426 HGB mit dem Prinzip der höheren Gewalt gleich.

Beim Rückgriff auf das Prinzip der höheren Gewalt muss jedoch zwischen dem Haftungsausschluss des Frachtführers bzw. Vercharterers und dem Kündigungsrecht des Absenders bzw. Charterers unterschieden werden. Vorbehaltlich des § 532 HGB, kann der Charterer den Chartervertrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen kündigen, unabhängig davon, ob die Charterpartie eine Force Majeure Klausel über höhere Gewalt enthält.

Ob der Vercharterer die Fracht (abzüglich ersparter Aufwendungen) (§§ 532, 489 II Nr. 1 HGB) oder Fautfracht (§§ 532, 489 I Nr. 2 HGB) sowie Liegegeld geltend machen kann, hängt davon ab, ob von einem Fall der “Störung der Geschäftsgrundlage” (§ 313 BGB) ausgegangen werden kann.

Kann der Charterer die Voraussetzungen für die “Störung der Geschäftsgrundlage” (§ 313 BGB) nicht nachweisen, sprich nicht schlüssig vortragen, dass

die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung als Teil der objektiven Geschäftsgrundlage durch unvorhergesehene Veränderungen nach Vertragsschluss so schwerwiegend gestört wurde, dass das üblicherweise von einer Partei getragene Risiko unangemessen überschritten wird (“clausula rebus sic stantibus”),

bleibt der Fracht- oder Fautfrachtanspruch des Vercharterers bestehen. In diesem Fall kann der Kündigungsgrund nicht dem Risikobereich des Vercharterers zugeordnet werden und das mit der Kündigung des Chartervertrages verbundene Risiko verbleibt beim Charterer.

Englisches Recht

Was das englische Recht betrifft, so ist die Situation vergleichbar. Wie im deutschen Recht hängt die Frage, ob eine kostenfreie Kündigung der Charterpartie möglich ist, in erster Linie davon ab, ob die Charterpartie eine Force Majeure Klausel enthält.

Fehlt eine Force Majeure Klausel, muss im deutschen Recht auf § 313 BGB bzw. im englischen Recht auf die “frustration of contract” zurückgegriffen werden. Auch wenn es sich hierbei um zwei getrennte Rechtsbegriffe mit eigenen Voraussetzungen handelt, können sie insofern verglichen werden, als dass beide auf der grundlegenden Störung der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung beruhen.

Keine allgemeine Anerkennung von höherer Gewalt nach englischem Recht

Die Notwendigkeit einer Force Majeure Klausel in Verträgen unter englischem Recht ergibt sich aus der Tatsache, dass das englische Recht das Prinzip der höheren Gewalt weder auf gesetzlicher noch auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage anerkennt. Wenn ein Charterer seinen Chartervertrag nach englischem Recht aufgrund höherer Gewalt kündigen möchte, benötigt er daher eine Force Majeure Klausel oder eine Quarantäne- bzw. Pandemieklausel, auf die er sich berufen kann.

Charterverträge nach englischem Recht können in den meisten Fällen nur gekündigt werden, wenn und soweit ein festgelegter Zeitraum (z.B. Laycan) erfolglos verstreicht oder eine festgelegte Situation (z.B. ein im Vertrag aufgeführter Fall höherer Gewalt) eintritt.

Infolgedessen erkennt das englische Recht ein vorweggenommenes allgemeines Kündigungsrecht des Charterers nicht an. So darf ein Charterer eine Charterpartie nicht bereits dann kündigen, wenn nur davon ausgegangen werden kann, dass das Schiff nicht rechtzeitig angedient werden wird. Dieser Grundsatz wird durch die Mehrheitsentscheidung des Berufungsgerichts im Fall “The Mihalis Angelos” unterstützt.

Die “Mihalis Angelos” wurde auf einem Gencon-Formular gechartert, um Ladung von Hai Phong (Vietnam) nach Europa zu befördern. Der Charterer behauptete, er habe die Charterpartie aufgrund höherer Gewalt wirksam gekündigt. Seiner Ansicht nach hätte die kriegsähnliche Situation in Hai Phong im Juli 1965 das Verladen der Güter auf die Mihalis Angelos unmöglich gemacht.

Ein vorzeitiges Kündigungsrecht des Charterers lehnte der Court of Appeal insbesondere mit dem Argument ab, dass aufgrund der vereinbarten Kündigungsklausel das Bestehen eines Kündigungsrechts des Charterers wegen höherer Gewalt in einem solchen Fall nicht erforderlich sei. Sollten die in der Kündigungsklausel festgelegten Bedingungen tatsächlich eintreten, böte die Klausel einen ausreichenden Schutz für den Charterer.

Für den Fall, dass eine Charterpartie, wie z.B. die BIMCO GENCON 1994, keine Force Majeure Klausel enthält und die Parteien keine derartigen Klauseln im Recap oder in den Rider Clauses vereinbart haben, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Chartervertrag vorzeitig gekündigt werden kann.

Frustration des Vertrages

Je nach den Umständen des Einzelfalls kann ein Charterer auf den Grundsatz der “frustration of contract” zurückgreifen, um seinen Chartervertrag vorzeitig zu kündigen.

Vergleichbar mit den Voraussetzungen der “Störung der Geschäftsgrundlage” nach deutschem Recht (§ 313 BGB) sieht das englische Recht unabhängig von etwaigen Kündigungsklauseln eine Vertragsauflösung für den Fall vor, dass nach Vertragsschluss durch ein unvorhergesehenes Ereignis (oder unvorhergesehene Umstände) und ohne das Verschulden einer Partei der Vertragszweck hinfällig geworden ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Erreichung des Vertragszwecks ausgeschlossen ist.

Die Angemessenheit, den Vertrag überhaupt in der vereinbarten Form auszuführen, muss nach objektiven Maßstäben für beide Parteien verloren gegangen sein. Rein wirtschaftliche Gründe, die nur eine der beiden Parteien betreffen, reichen in der Regel nicht aus, um von einer “frustration of contract” auszugehen.

Im Fall der “Agathon” wurde die “frustration of contract” eines Chartervertrages verneint, obwohl sich die Entladung der “Agathon” wegen des Ausbruchs des ersten Golfkrieges 1980 über Monate hinzog. Der Court of Appeal hielt die Tatsache, dass die “Agathon” ihre Ladung nur extrem langsam entladen konnte, für nicht ausreichend. Nach Ansicht des Court of Appeal verzögerte sich die Ausführung des Vertrags zwar erheblich, aber die von den Parteien beabsichtigte Entladung konnte immer noch erreicht werden.

Da die Frage, ob eine “frustration of contract” vorliegt, von den Umständen des Einzelfalles abhängt und angesichts der Reichweite der englischen Rechtsprechung nicht abschließend vorhersehbar ist, sollte eine “frustration of contract” nur dann angenommen werden, wenn ähnlich wie bei der objektiven Unmöglichkeit nach deutschem Recht (§ 275 I BGB) zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung sicher festgestellt werden kann, dass der Vertrag nicht mehr erfüllt werden kann. Nur dann ist der Vertragszweck objektiv für beide Parteien nicht mehr anwendbar.

Übertragen auf die Frage des Kündigungsrechts des Charterers bedeutet dies, dass er den (Reise-) Chartervertrag auf Grund einer “frustration of contract” nur dann kündigen kann, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung feststeht, dass der Hafen bis zum Termin der rechtmäßigen nicht mehr geöffnet sein wird. Wenn der Charterer den Vertrag wirksam kündigen kann, ist die Rechtsfolge der “frustration of contract”, dass der Vertrag ab diesem Zeitpunkt als beendet gilt und die Parteien von ihren gegenseitigen Verpflichtungen befreit sind.

Ergebnis

Nach deutschem und englischem Recht kann eine Charterpartie, ohne dass der Vercharterer Ansprüche geltend machen kann, nur dann gekündigt werden, wenn und soweit die Parteien eine Force Majeure Klausel vereinbart haben und einer der in der Klausel über höhere Gewalt genannten Fälle eingetreten ist.

Wurde keine Force Majeure Klausel vereinbart, muss der Charterer für eine wirksame und kostenneutrale Kündigung der Charterpartie auf den Grundsatz der „frustration of contract” bzw. auf § 313 BGB zurückgreifen. Da hierfür jedoch die genauen Umstände des Einzelfalls von Bedeutung sind, gibt es keine abschließende Rechtssicherheit bei der Anwendung des § 313 BGB bzw. der „frustration of contract“.

Abgesehen von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Charterer im Falle der Schließung eines Hafens wegen des Coronavirus seinen Chartervertrag kündigen kann, stellt sich nach deutschem und englischem Recht zusätzlich die Frage, welche Partei das Liegegeldrisiko trägt, wenn das Schiff während seiner effektiven Ausschreibung (NOR — Notice of Readiness) im Hafen festsitzt.

ILO — International Law Office

Dieser Artikel wurde teilweise in englischer Sprache herausgegeben von und zuerst veröffentlicht auf www.internationallawoffice.com.

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