Am 26. Januar 2022, um 09:00 Uhr, wurde vor dem Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen IV ZR 144/21 zu der Frage verhandelt, ob einem Versicherungsnehmer Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte in Schleswig-Holstein zustehen.

Etwa zwei Jahre ist es nun her, seitdem erstmals aufgrund von COVID-19 die Schließung von beispielsweise Bars, Restaurants und Cafès angeordnet wurde. In der Folge haben die von der Schließung betroffenen Unternehmer ihre Versicherungsunterlagen geprüft und festgestellt, dass sie über eine bis dahin eher nur am Rande beachtete Betriebsschließungsversicherung verfügen. Seither versuchten diese Unternehmen, zumindest einen Teil ihrer durch Corona verursachten Verluste gegenüber den Versicherern geltend zu machen. Seitdem sind zahlreiche Verfahren rechtshängig geworden und auch zahlreiche Urteile ergangen. Angesichts diametral unterschiedlicher Auffassungen zwischen Versicherungsnehmern und Versicherern zur Auslegung der Betriebsschließungsversicherung, bislang fehlender Rechtsprechung und der hohen Brisanz der Thematik für die Betroffenen haben bereits die ersten Urteile dazu große Beachtung gefunden, vor allem auch die Entscheidungen zulasten der Versicherer. Im vergangenen Jahr ergingen nun zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen, wobei sich nach ersten Erfolgen für die Versicherungsnehmer auf erstinstanzlicher Ebene im Laufe der letzten Monate eine klare Tendenz zugunsten der Versicherer zeigte. Mit umso größerer Spannung war nun die erste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Ansprüchen eines Gastronomen aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer coronabedingten Betriebsschließung erwartet worden.

Am 26.01.2022 hat der Bundesgerichtshof (Az.: IV ZR 144/21) nun eine erste Entscheidung zu der Thematik getroffen, die im Folgenden dargestellt werden soll.

Zugrundeliegende Bedingungen

Dem Vertrag liegen die „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) — 2008 (ZBSV 08)“ zugrunde. Diese Bedingungen lauten auszugsweise folgendermaßen:

§ 2 Versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz — IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt; …

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Zusatzbedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) Krankheiten: …
b) Krankheitserreger: … ”

Dabei werden in § 2 Nr. 2 Buchst. a und b ZBSV 08 weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus‑2 (SARS-CoV‑2) aufgeführt.

Die Argumentation des Versicherungsnehmers

Die Argumentation des klagenden Versicherungsnehmers lässt sich in groben Zügen folgendermaßen darstellen:

Der Kläger möchte das in seinen Versicherungsbedingungen enthaltene Wort „namentlich“ in umgangssprachlicher Bedeutung mit dem Wort „insbesondere“ gleichsetzen. Der Versicherer hätte anderenfalls auf Grenzen der versicherungsrechtlichen Deckung in den Vertragsklauseln durch Worte wie „nur“ oder „ausschließlich“ hinweisen müssen. Daher werde die Haftung des Versicherers nicht auf den Katalog der genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bedingungen reduziert. Durch die Bezugnahme auf die Regelungen der „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ würde darüber hinaus eine dynamische Verweisung auf den jeweiligen Rechtszustand der im Gesetz genannten Krankheiten und Krankheitserreger vorliegen. Anderenfalls sei die Klausel intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB. Daraus leitet der Versicherungsnehmer schließlich einen Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung.

Erstinstanzliche Entscheidung des LG Lübeck

Entgegen der Ansicht des Versicherungsnehmers vertrat das LG Lübeck (Az.: 4 O 164/20) die Ansicht, der Wortlaut „die folgenden“ lasse deutlich auf den abschließenden Charakter des Katalogs der Bedingungen schließen. Dies würde durch den Klammerverweis „(siehe Nr. 2)“ noch verstärkt. Die nachfolgende Erwähnung des IfSG in der Klausel mag zwar nach Auffassung des LG Lübeck „systematisch unschön“ sein, erweise sich allerdings inhaltlich als unschädlich. Nach allgemeinem Verständnis sei das Wort „namentlich“ eher als Synonym für „benannt“ zu verstehen. Auch würde durch die Definition der meldepflichtigen Krankheiten und Erreger der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt werden. Demnach verbleibe kein Raum für eine Deckungslücke und auch keine dynamische Erweiterung. Deswegen wurde die Klage vom LG Lübeck abgewiesen.

Zweitinstanzliche Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein

Das OLG Schleswig-Holstein (Az.: 16 U 25/21) wies die Berufung des Gastronomen zurück und bestätigte die Entscheidung des LG Lübeck. Ergänzend stütze das OLG seine Entscheidung jedoch auch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Im Zeitpunkt der Abfassung der Vertragsbedingungen hätten die Parteien den Fall eines pandemiebedingten praktisch allgemeinen Lockdowns schlicht nicht mit in ihre Überlegungen einbezogen. Dies würde auch die Begrenzung des Ertragsausfalls auf einen Zeitraum von 30 Tagen nochmals verdeutlichen. Vielmehr müsste nach Auffassung des OLG Schleswig-Holstein seitens des klagenden Gastronomen eingeräumt werden, dass er den Vertrag zur Absicherung gegen die Gefahr abgeschlossen hatte, aufgrund eines meldepflichtigen Ausbruchs im eigenen Betrieb und einer einzelfallbezogenen Schließung, einen Umsatzverlust zu erleiden. Daher würde die landesweite Schließungsverordnung auch keinen Versicherungsfall darstellen. Zur Argumentation einer sogenannten „dynamischen Verweisung“ führte das OLG sogar aus, dass es sich dabei um eine „Denkfigur“ handeln würde, welche einem „Laien völlig fremd“ sei.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof (Az.: IV ZR 144/21) hat nunmehr im Rahmen seiner Entscheidung vom 26.01.2022 die Revision des klagenden Gastronoms zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof folgte zwar hinsichtlich der sogenannten intrinsischen Infektionsgefahr nicht der Auffassung des Berufungsgerichts, sondern stellte klar, dass der Eintritt des Versicherungsfalles nicht die Verwirklichung einer aus dem Betrieb selbst erwachsenden Infektionsgefahr voraussetzt.

Der Bundesgerichtshof folgte dem Berufungsgericht aber insoweit, als dem Kläger gegen die beklagte Versicherung keine Ansprüche zustehen, weil eine Betriebsschließung zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 oder des Krankheitserregers SARS-CoV‑2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Denn nach den zugrundeliegenden Bedingungen, insbesondere nach § 2 Nr. 1 Buchst. a Halbsatz 1 ZBSV 08 bestehe Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Der in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 enthaltene Katalog ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofes auch nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abschließend und dieser Katalog enthalte weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV‑2. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde beim Blick in die Bedingungen nach Auffassung des Bundesgerichtshofes erkennen, dass darin eine eigenständige Definition der Begriffe „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ erfolgt, und wird die sich daran anschließende umfangreiche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern als abschließend erachten. Die ergänzende Bezugnahme auf die „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer lediglich als Klarstellung verstehen, dass bei der Abfassung des Katalogs eine Orientierung daran erfolgte. Das vom Versicherungsnehmer in Bezug genommene Wort „namentlich“ führt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch zu keinem anderen Verständnis.

Der Bundesgerichtshof stellte zudem klar, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer, trotz seines Interesses an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz, nicht davon ausgehen könne, dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen möchte. Denn eine sachgerechte Prämienkalkulation wäre aufgrund der Unklarheiten des Haftungsrisikos nicht möglich.

Abschließend legte sich der Bundesgerichtshof auch dahingehend fest, dass die streitige Klausel des § 2 Nr. 2 ZBSV 08 einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB standhält und insbesondere nicht gegen das Transparenzgebot verstößt. Denn der klare Wortlaut der Bedingungen definiert die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend. Unabhängig davon ist, ob der darin genannte Katalog bei Vertragsschluss identisch mit dem Katalog in den §§ 6 und 7 IfSG gewesen ist. Diese Frage konnte nach Ansicht des Bundesgerichtshofes offenbleiben, da auch fehlende Deckungsgleichheit nicht zu einer Intransparenz führt. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers nach § 307 BGB sah der Bundesgerichtshof ebenso nicht.

Kommentar

Die Entscheidung des BGH wird die weitere Rechtsprechung zur Betriebsschließung maßgeblich prägen. Zwar argumentiert der BGH eng am Wortlaut der Vertragsbedingungen, weshalb in Anbetracht der Vielzahl der auf dem Markt vormals existierenden Bedingungen bei entsprechend abweichenden Formulierungen auch gegenteilige Entscheidungen denkbar sind. Bei den der Entscheidung zugrundeliegenden Bedingungen handelt es sich jedoch um eine durchaus weit verbreitete Gestaltung, weshalb sich zahlreiche Instanzgerichte an der Entscheidung orientieren dürften. Zudem dürfte künftig auch der Argumentation, dass es nur deshalb kaum Entscheidungen zugunsten der Versicherungsnehmer gebe, weil die Versicherer entsprechende Entscheidungen durch großzügige Vergleichszahlungen verhinderten, die Grundlage entzogen sein. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die zwischenzeitlich in Einzelfällen durchaus verbreitete Vergleichsbereitschaft der Versicherer spürbar nachlassen wird. So mancher Versicherungsnehmer dürfte im Nachhinein froh sein, wenn er sich entgegen vollmundiger Versprechungen frühzeitig auf einen Vergleich eingelassen hat.

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