Die Große Haverei – auch als „Havarie Grosse“, „General Average“ oder kurz als „GA“ bezeichnet – ist nach deutschem Verständnis ein gesetzliches Schuldverhältnis. Es entsteht, wenn sich Schiff und Ladung in gemeinsamer Gefahr befinden und der Kapitän Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr ergreift, welche dem Schiff oder der Ladung Schaden zufügen. Diese Schäden und die Kosten der Abwendungsmaßnahmen, zusammen auch als Vergütung bezeichnet, werden in einer durch einen Dispacheur – einen besonders bestellten Sachverständigen – erstellten Dispache auf Schiff, Ladung und Fracht umgelegt. Das Rechtsinstitut ist heute international anerkannt und wird in der Praxis durch die Vereinbarung der durch das Comité Maritime International ausgearbeiteten York-Antwerp-Rules im Seefrachtvertrag ausgestaltet. In der Praxis sehen sich viele Beteiligte zum ersten Mal mit der Großen Haverei konfrontiert, wenn sich der Dispacheur mit der Aufforderung zur Gestellung von Sicherheit an sie wendet.

Schiffsgläubigerrecht und Pfandrecht

Die Dispache ist ein gutachterlicher Vorschlag zur Bemessung der Vergütung sowie der Beiträge von Schiff, Fracht und Ladung. Die Höhe der Beiträge bemisst sich nach dem Wert der Gegenstände, die sich in gemeinsamer Gefahr befanden. Da die Aufmachung der Dispache einige Zeit in Anspruch nehmen kann und die Beiträge erst durch die Dispache festgelegt werden, stehen den Vergütungsberechtigten als Sicherheit ein gesetzliches Schiffsgläubigerrecht und ein gesetzliches Pfandrecht an dem Treibstoff und der Ladung zu. Angesichts der zur Aufmachung der Dispache erforderlichen Zeit und der Gefahr, dass das Pfandrecht durch den gutgläubigen Erwerb der Ware durch einen Dritten untergeht, haben die Vergütungsberechtigten aber ein starkes Interesse daran, ihren Vergütungsanspruch auch unabhängig von dem gesetzlichen Pfandrecht zu sichern.

Gestellung von Sicherheiten

In der Praxis werden daher durch den – hierfür von den Vergütungsberechtigten, typischerweise dem Reeder – besonders beauftragten Dispacheur von den Beitragspflichtigen Sicherheiten eingefordert. Anders als für Schiffsgläubigerrecht und Pfandrecht erfolgt diese Einforderung jedoch nicht auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage, sondern durch Ausübung des Pfandrechts: Wird keine anderweitige Sicherheit geleistet, wird die Auslieferung verweigert. Die Beitragspflichtigen sehen sich daher häufig mit einer etwas unübersichtlichen Lage konfrontiert, bei der von ihnen mehrere, häufig unterschiedliche bezeichnete Sicherheiten gefordert werden. Diese lassen sich jedoch in drei Gruppen zusammenfassen: Verpflichtungsscheine, Garantien und Bareinschüsse.

  • Die Verpflichtungsscheine – auch als „Havereibonds“, „General Average Bonds“ oder „Haveriegrosse-Revers“ bezeichnet – sind üblicherweise durch den Beitragspflichtigen selbst (gelegentlich auch durch den Ladungsversicherer) abzugebende Sicherheiten. In dem Verpflichtungsschein erklärt sich der Unterzeichner persönlich bereit, einen auf ihn (oder einen bestimmten Beitragsberechtigten) entfallenden Beitrag zur Großen Haverei zu zahlen. Die genaue Beitragspflicht wird allein durch den Wortlaut bestimmt. Es ist daher vor Zeichnung zu prüfen, ob ein abstraktes Schuldanerkenntnis vorliegt oder die Zahlungspflicht lediglich anerkannt wird, sofern und soweit eine Beitragspflicht besteht. Zeichnet der Beitragspflichtige den Verpflichtungsschein selbst, wirkt dieser allein deklaratorisch, während in allen anderen Fällen ein neuer Schuldgrund geschaffen wird. Bei Unterzeichnung des Verpflichtungsscheins ist wdarauf zu achten, ob dieser weitergehende Regeln zum anwendbaren Recht, zum Gerichtsstand oder zur Verjährung enthält, die von der der gesetzlichen und vertraglichen Rechtslage abweichen.
  • Neben dem Verpflichtungsschein werden häufig auch Garantien, sogenannte „General Average Guarantees“ eingefordert. In der Garantie verpflichtet sich der jeweilige Garantiegeber persönlich, den auf den Beitragspflichtigen entfallenden Beitrag zu zahlen. Auch insoweit hängt es stets von dem jeweiligen Wortlaut der Garantie ab, ob die Zahlungspflicht nur in Abhängigkeit von der Beitragspflicht oder davon unabhängig existiert. Der englischen Rechtssprechung kann entnommen werden, dass Garantien durch den Versicherer nicht als ausreichende Sicherheit akzeptiert werden müssen, da nicht jeder Versicherer als kreditwürdig erachtet wird. Dies erklärt die häufig erfolgende parallele Einforderung eines vom Beitragspflichtigen gezeichneten Verpflichtungsscheins und einer vom Ladungsversicherer gestellten Garantie.
  • In der Praxis seltener anzutreffen ist die Forderung nach auch als „cash deposits“ bezeichneten Bareinschüssen. Diese werden in der Regel nur dann beansprucht, wenn Bedenken gegen die Solvenz des Garantiegebers bestehen oder wenn die Ladung nicht versichert ist. Die Hinterlegung erfolgt üblicherweise auf ein Anderkonto des Dispacheurs.

In allen Fällen wird sich die Höhe der Sicherheit an der vom Dispacheur pflichtgemäß zu schätzenden Beitragshöhe orientieren. In Abwesenheit gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen ist die Ausgestaltung der Sicherheit zwischen den Parteien aber prinzipiell frei verhandelbar, auch wenn das Interesse des Vergütungsberechtigten und des Dispacheurs an Verhandlungen häufig wenig ausgeprägt ist.

Exkurs: Verschulden des (vermeintlich) Vergütungsberechtigten

Nach deutschem Recht schließt ein Verschulden für die Entstehung der gemeinsamen Gefahr den Vergütungsanspruch des Schuldigen aus. Dies gilt jedoch nicht universal: Den häufig vereinbarten „York Antwerp Rules“ kann dies nicht entnommen werden. Vielmehr sehen diese gerade keinen Ausschluss des Vergütungsanspruchs vor, sondern verweisen in Bezug auf Verteidigungsmittel und Rechte, die sich aus dem Verschulden des (vermeintlich) Vergütungsberechtigten ergeben, auf das jeweils anwendbare nationale Recht. Steht ein Verschulden für die Entstehung der gemeinsamen Gefahr in Frage, ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob der Vergütungsanspruch ausgeschlossen ist. Selbst wenn ein solcher Vergütungsanspruch ausgeschlossen ist, wirkt sich dies aber nur mittelbar auf den Beitragsanspruch aus, da lediglich der Betrag der in der Dispache ermittelten Vergütung sinkt, nicht aber die Beitragspflicht ausgeschlossen wird.

Fazit

Zwar wird sich als Ladungsinteressent die Stellung von Sicherheit für einen Beitrag zu Großer Haverei nicht vermeiden lassen, da ansonsten durch den Vergütungsberechtigten das Pfandrecht ausgeübt wird. Bei der Formulierung der Sicherheiten gilt jedoch „Augen auf!“, da sich Regelungen zum anwendbaren Recht, zum Gerichtsstand und zur Verjährung schnell zum Nachteil des Beitragspflichtigen und Sicherungsgebers auswirken können.

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