Wenn die für den Frachtführer vorgesehenen Haftungsbeschränkungen durchbrochen werden sollen, ist § 435 HGB entscheidend.
Beim Lesen des Wortlauts von § 435 HGB:
„Die in diesem Unterabschnitt und im Frachtvertrag vorgesehenen Haftungsbefreiungen und Haftungsbegrenzungen gelten nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die der Frachtführer oder eine in § 428 genannte Person vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat.“
kann der Eindruck entstehen, dass es schwierig ist, sich auf bewusste Leichtfertigkeit (qualifiziertes Verschulden) im Sinne des § 435 HGB zu berufen. Die deutsche Rechtsprechung bejaht allerdings in vielen Fällen ein qualifiziertes Verschulden und damit eine volle Haftung des Frachtführers.
Hintergrund für die deutsche Rechtsprechung ist, dass eigentlich nur der Frachtführer zur Aufklärung in der Lage ist, wie der Transport durchgeführt wurde und wie der Schaden entstanden ist. Der Absender hat meist keinen Einblick in die Organisation des Frachtführers oder der Unterfrachtführer, so dass der Geschädigte seiner Beweislast, dass der Schaden vorsätzlich oder bewusst leichtfertig verursacht wurde, nicht nachkommen kann. Die deutsche Rechtsprechung bürdet daher dem Frachtführer eine sogenannte sekundären Darlegungsobliegenheit auf, die konkreten Umstände des Transportes und des Schadens zu untersuchen und detailliert darzulegen.
Bei Verlust neigen deutsche Gerichte dazu, ein qualifiziertes Verschulden anzunehmen und eine volle Haftung des Frachtführers zu bejahen, wenn der Frachtführer seiner Darlegungsobliegenheit nicht ausreichend nachgekommen ist. Daher bestehen bei Gerichtsverfahren in Deutschland gute Aussichten für Ladungsinteressenten, eine volle Haftung des Frachtführers zu erreichen bzw. erhebliche Risiken für Frachtführer, sich nicht auf die Haftungsbeschränkung von 8,33 SZR pro kg berufen zu können, wenn die Ladung verloren gegangen ist.
Bei Beschädigungsfällen ist es für Frachtführer einfacher, ihre Haftung zu begrenzen, da die deutsche Rechtsprechung die Anforderungen an die Frachtführer gemildert hat. Frachtführer sind nur verpflichtet, die Umstände der Beschädigung zu recherchieren. Wenn Frachtführer ihrer Rechercheobliegenheit nachkommen, neigen deutsche Gerichte dazu, ein qualifiziertes Verschulden zu verneinen. Frachtführer haben daher gute Chancen, sich mit Erfolg auf die Haftungsbeschränkung zu berufen, wenn die Ladung beschädigt wurde.
Fazit:
- Top 1: Wenn ein Gerichtsstand in Deutschland begründet werden kann, sind Ladungsinteressenten gut beraten, im Falle des Verlustes den vollen Schadenersatz zu verlangen. Da die deutsche Rechtsprechung zur sekundären Darlegungsobliegenheit auch für die CMR gilt, ist ein solches „forum shopping“ im internationalen Straßengüterverkehr von Bedeutung.
- Top 2: Wenn die Ladung beschädigt wurde, haben Frachtführer gute Chancen, nur die Haftungsbegrenzung zu zahlen, es sei denn, es gibt eindeutige und beweisbare Ansatzpunkte für eine leichtfertige Behandlung der Güter durch den Frachtführer oder Unterfrachtführer.