Die vorliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs („BGH“), Beschluss vom 25.09.2019, IV ZR 247/18, verdeutlicht die Schwierigkeiten und zugleich Wichtigkeit der genauen rechtlichen Einordnung der festgestellten Tatsachen, sofern vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen betroffen sind.

Sachverhalt

Streitgegenstand war die Aufnahme einer Ausschlussklausel in 2014 in eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aus 2009 aufgrund einer von dem Versicherer (VR) behaupteten vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer (VN) klagte gegen den VR auf Herausnahme der Ausschlussklausel sowie Rückgängigmachung sämtlicher damit verbundener Änderungen.

Die erste Instanz (Landgericht Landshut) stellte fest, dass der VN 2008, somit vor Vertragsabschluss, tatsächlich eine Außenknöchelfraktur und zugleich eine Wadenbeinfraktur erlitten hatte. Aufgrund einer medizinischen Feinheit kannte er schuldlos bzw. aufgrund leichtester Fahrlässigkeit nicht die anzeigepflichtige Außenknöchelfraktur, er kannte jedoch die (aufgrund der Fragestellung des VR nicht anzeigepflichtige) Wadenbeinfraktur.

Sowohl das Landgericht Landshut, als auch die zweite Instanz (Oberlandesgericht München) behandelten dies als eine schuldlose bzw. leicht fahrlässige Anzeigepflichtverletzung. Aufgrund der 5 Jahre-Frist aus § 21 VVG gaben sie jedoch der Klage statt. Besagte Frist wäre abgelaufen, sofern entweder ein Versicherungsfall vor Ablauf eingetreten wäre oder die Anzeigepflicht jedenfalls vorsätzlich verletzt worden wäre.

Die erste Instanz befand, dass es weder zu einem Versicherungsfall gekommen war, noch die Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt wurde. Die zweite Instanz stellte zwar fest, dass zwar in 2013 ein Versicherungsfall eingetreten war, dieser jedoch keinerlei Zusammenhang zu dem anzuzeigenden Umstand hatte.

Die zweite Instanz besprach sodann umfassend die (zugleich auch den Revisionszulassungsgrund darstellende) Frage, ob ein vor Ablauf der Frist des § 21 Abs. 3 S. 1 Versicherungsvertragsgesetz („VVG“) objektiv eingetretener Versicherungsfall stets den Ablauf der Frist hindert (überwiegende Literaturmeinung) oder ob dies nicht der Fall ist, sofern sich die Verletzung der Anzeigepflicht auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich ist. Letzteres war Ansicht des Oberlandesgerichts München und zugleich Revisionszulassungsgrund.

Entscheidung

Der BGH stellte fest, dass Voraussetzung der Erheblichkeit dieser Frage sei, dass der VN seine Obliegenheit verletzt hat, dem VR die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannten Gefahrumstände anzuzeigen (§ 19 Abs. 2 i. V. m. 1 VVG). Im Gegensatz zu den Vorinstanzen sah der BGH diese Voraussetzung nicht erfüllt:

Der BGH führte aus, dass es Teil des objektiven Tatbestands der Anzeigepflichtverletzung nach § 19 Abs. 1 VVG sei, dass der VN positive Kenntnis des gefahrerheblichen und daher mitzuteilenden Umstands habe. Dies habe der VR zu beweisen.

In dem hier streitigen Fall habe der VN gerade keine positive Kenntnis des mitzuteilenden Umstands gehabt. Fahrlässige Unkenntnis vermöge die benötigte, aber fehlende Kenntnis eines anzeigepflichtigen Umstands nicht zu ersetzen. Daher habe der VN gerade nicht seine Anzeigepflicht verletzt.

Der BGH wies in der Konsequenz mit dem hier besprochenen Beschluss die Revision zurück, da die revisionszulassungsbegründende Frage nicht entscheidungserheblich war.

Anmerkung

Da die streitgegenständliche Norm aus dem Kapitel 1 “Vorschriften für alle Versicherungszweige“ stammt, hat die Entscheidung Relevanz für alle dem VVG unterliegenden Versicherungszweige, wobei Sonderregelungen bestehen (z. B. Lebensversicherung (§ 157 VVG)). Abweichende Vereinbarungen müssen den engen Vorgaben von § 32 VVG, sofern es sich nicht z. B. um Großrisiken nach § 210 VVG handelt, und, soweit anwendbar, §§ 305 ff. BGB genügen.

Die Entscheidungen zeigen, dass in Fällen wie dem hier vorliegenden der Sachverhalt sehr leicht unterschiedlich subsumiert werden kann, da drei kompetente Gerichte letztlich zu drei unterschiedlichen Resultaten kamen – wegen sehr kleiner Unterschiede.

Praxis-Tipp

Der BGH führt hier seine Rechtsprechung fort und verdeutlicht, von welch elementarer Wichtigkeit die Differenzierung zwischen (1) fahrlässiger Unkenntnis von anzeigepflichtigen Umständen und (2) fahrlässigem Unterlassen der Anzeige von bekannten Umständen ist.

Denn, während bei (1) die Anzeigepflicht nicht verletzt würde, besteht bei (2) eine solche Pflichtverletzung, der Verschuldensgrad ist maßgeblich für die Rechtsfolge.

Da es in diesem Fall fernliegend gewesen sein dürfte, erwähnt der BGH nicht, dass diese „fahrlässige Unkenntnis“ nicht grenzenlos gilt: Auch im deutschen Recht darf sich der VN selbstverständlich nicht arglistig der Kenntnis entziehen („turning the blind eye“). Zudem kann er sich nicht auf ein Vergessen von Aspekten berufen, wenn er diese bei Anspannung seines Gedächtnisses erinnert hätte.

ILO — International Law Office

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache herausgegeben von und zuerst veröffentlicht auf www.internationallawoffice.com.

Mit der Welt teilen